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Interviews

Tendenzen Gespräch

Dr. Phil. Peter van Zahn, Hamburg

"Erweckungsprediger wie Billy Graham passen nicht in unsere (geistliche) Landschaft!"

TENDENZEN: Herr von Zahn, keiner hat das Amerika-Bild der Deutschen in den 60er und zum Teil 70er Jahren so nachhaltig gemalt wie Sie. Wie würden Sie es heute malen: Grell oder Pastell?

von Zahn: Die Amerikaner sind keine französischen Impressionisten. Sie bevorzugen starke Farben und laute Töne. Das hat etwas mit der Weite des Landes zu tun. Aber auch mit der Notwendigkeit, in einer egalitär orientierten Gesellschaft aufzufallen. Dem entspricht die Menge der Superlative, mit denen Politiker, Prediger und Propangandisten ihre Sache vertreten. Daran hat sich seit zweihundert Jahren nichts geändert. Europa hat sich immer etwas auf seinen guten Geschmack und die Abwesenheit grellerer Farben und Töne zu gute gehalten - aber entspricht das noch der europäischen Wirklichkeit? Ich entdecke bei uns die Zunahme marktschreierischer Effekte. Pastellen ist die deutsche Fernsehwerbung auch nicht; eher grell.

TENDENZEN: Vieles, was heute in Amerika up to date ist, kommt in immer kürzeren Abständen nach Europa und hier speziell in die Bundesrepublik. Das betrifft gute wie auch weniger gute Entwicklungen. Nennen Sie uns Bitte Beispiele aus ihrer Beobachtung?

von Zahn: Wir täten gut daran, wenn wir uns die nonchalante amerikanische Handhabung der Einwanderung, der Eingliederung vernachlässigter Minderheiten, die Großzügigkeit in der Sprachenpolitik zum Vorbild zu nehmen; nach fünf Jahren kann jeder Imigrant die US-Staatsangehörigkeit erwerben. Auf der anderen Seite der Medaille steht das eifernde Getue um die "political correctness". Die zieht nach amerikanischem Vorbild auch an unseren Universitäten und in den Medien ein. Wenn man in Amerika nicht mehr von Negern oder Farbigen sprechen darf - das sei eine Beleidigung der Schwarzen, welche bekanntlich Kultur ins klassische Griechenland gebracht haben - so setzen wir in Deutschland noch eins drauf und spielen auf dem Theater den Othello nicht als Mohren, sondern "weiß". Shakespeare würde sich wundern. Es gilt schon beinahe als Verbrechen, von Kollegen zu sprechen, statt von Kolleg/Innen. Political correctness ist ein Import von hysterischen Minderwertigkeitsgefühlen, den wir uns nicht gestatten sollten.

TENDENZEN: Es scheint mir, daß der amerikanische Einfluß nirgends besser demonstriert werden kann als in den Bereichen der Musik und der Religion. Was ist religiös von Amerika noch zu erwarten?

von Zahn: Ich vermute, daß infolge seiner vielfältigen Quellen und großen Intensität das amerikanische Musikleben auch in Zukunft einen großen Einfluß auf uns ausüben wird. Die religiösen Bewegungen Amerikas finden dagegen in Europa wenig Anklang. Ein Erweckungsprediger wie Billy Graham paßt hier nicht in die (geistliche) Landschaft. Der Missionseifer eines Teils der amerikanischen Protestanten richtet sich in kluger Beschränkung mehr auf die ärmeren Schichten Lateinamerikas.

TENDENZEN: Die Vereinigten Staaten von Amerika wurden seinerzeit von europäischen Einwanderern besiedelt und geprägt. Diese Einwanderer hatten zum großen Teil Europa verlassen, um frei ihren protestantischen Glauben ausleben zu können. Wie beurteilen Sie die heute immer mehr zunehmende Popularität des Katholizismus in Amerika, und dies gerade in protestantischen Kreisen?

von Zahn: Ihre Feststellung stützt sich auf die Statistik, aber sie kann auch so interpretiert werden: Der Katholizismus in Amerika gewinnt an Popularität, weil es infolge hispanischen Einwanderung prozentual sehr viel mehr Katholiken gibt als früher. Ein Katholik kann sogar Präsident werden, was vor Kennedy an traditionellen wie staatsrechtlichen Hemmungen scheiterte. John F. Kenndy entstammte einer irisch-katholischen Familie. Das relativiert Ihre Äußerung, ein großer Teil der Einwanderer nach Amerika habe unseren Erdteil verlassen, um frei seinen protestantischen Glauben ausleben zu können Das ist sicher nicht falsch, es berücksichtigt aber nicht, daß für die Millionen katholischer Iren die gleichen Gründe gelten. Wenn Sie sagen, daß die Popularität des Katholizismus gerade in protestantischen Kreisen zunimmt, so meinen Sie wohl in erster Linie die "Anglikaner", amerikanische Angehörige der englischen High Church seit altersher. Ihr geistliches Oberhaupt ist nach wie vor der Erzbischof von Canterbury. Von dort verlaufen, wie man weiß, viele Fäden nach Vatikan.

TENDENZEN: Nicht erst seit George Busch - aber seit dem sog. Golf-Krieg Anfang 1991 immer lauter - wird über eine neue Weltordnung bzw. eine Weltregierung gesprochen und nachgedacht. Was ist an der Sache dran? Gibt es dann auch eine Welteinheitsreligion? (Wenn ja, welche ist es dann?)

von Zahn: Ebenso wenig wie einen Welt-Einheitsmenschen wird es eine Welteinheitsreligion geben. Jedenfalls keine christliche. Die neue Weltordnung ist seit der Gründung der Vereinigten Staaten ein viel gebrauchter Begriff. Auf dem Staatswappen kann man es nachlesen. Der Gedanke entstammt der antik-römischen Tradition, die in Amerika mit den Gedanken der Aufklärung eine potente Mischung einging. Die Tatsache, daß es plötzlich und wider Erwarten in der Neuen Welt einen von den alten Mächten unabhängigen Staat gab, stellte bereits die vollzogene Neuordnung dar. Nachdem die Russen eine neue Weltordnung im Sinne Lenins zu schaffen versuchten und dabei scheiterten, lag es nahe, die Möglichkeiten Amerikas als Ordnungshüter zu überprüfen. Das Ergebnis ist eher negativ. Man will keinesfalls Weltpolizist sein. Eine neue Ordnung der Welt ist nach unseren und den amerikanischen Erfahrungen mit polizeilichen Mitteln nicht herstellbar. Andere Mi

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