header

Interviews

Tendenzen Gespräch

Ulrich Wickert, "Mr. Tagesthemen"

"Die Kirche scheint heute keine Antwort mehr zu haben!"

Ulrich Wickert, Hamburg ("Mr. Tagesthemen"), über die Probleme der Römisch-Katholischen Kirche mit der vom Materialismus geprägten bürgerlichen Gesellschaft am Beispiel Frankreichs

TENDENZEN: Vatikan und Frankreich das gespannte Verhältnis scheint eine unendliche Geschichte besonderer Art zu sein. Nur zwei Prozent der französischen Gläubigen besuchen regelmäßig die Messe, und es ist bekannt, daß viele französische Bischöfe auf Distanz zu Rom gehen. Wie wird sich Ihrer Meinung nach dieses Verhältnis zwischen der Katholischen Kirche Frankreichs und dem Vatikan entwickeln?

Wickert: Aus der Geschichte der Päpste wissen wir, daß es Päpste auch in Avignon gegeben hat. Ich glaube, daß die französische Kirche darunter leidet, daß sie keine Kirchensteuer einziehen lassen kann, wie dies zum Beispiel in Deutschland der Fall ist, und sie dadurch eine "arme" Kirche ist. Die Priester leben von dem Geld, das sie durch Spenden bekommen. So lebt die Tradition noch in vielen Gemeinden weiter, daß der Priester sonntags sein Essen von den Schäfchen, wie man so schön sagt, bekommt. - Ich glaube, daß die Franzosen ein ganz besonderes Verhältnis zur Katholischen Kirche haben, ein modernes Verhältnis, dem die Kirche in Rom aber nicht entspricht. Ich könnte mir vorstellen, daß die jüngst veröffentlichte Moralenzyklika nicht gerade dazu beiträgt, daß sich das Verhältnis zwischen der Katholischen Kirche Frankreichs und dem Vatikan verbessern wird.

TENDENZEN: Seit dem Konkordat von 1905 ist man jenseits des Rheins auf strikte Trennung von Kirche und Staat festgelegt. Aus der Kirchengeschichte wissen wir aber, daß die römische Kurie über einen erstaunlich langen Atem verfügt und sich praktisch nie mit Niederlagen abfindet. Gibt es Bemühungen, diesen Zustand der Trennung zu beenden, und wann könnten sie Erfolg haben?

  Wickert: Ich glaube, daß es lange dauern wird, bis dieser Zustand sich verändert, denn das Problem ist folgendes: Das Konkordat von 1905 beruht darauf, daß die Katholische Kirche Frankreichs die Revolution immer abgelehnt hat. Dies ist eines der grundlegenden Probleme, die zur Trennung von Staat und Kirche in Frankreich geführt hatten, denn die schulische Ausbildung wurde in Frankreich immer von der Kirche durchgeführt. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gab es jenseits des Rheins eine heftige Diskussion darüber, ob die Republik, die die Frucht der Revolution ist, ihre Kinder besser selbst erziehen, oder ob die Kirche das weiter machen soll. Da gibt es die Schulgesetze von Jules Ferry, die zu einer heftigen Diskussion in der französischen Gesellschaft geführt hatten über die Frage: Kann der Staat oder muß die Kirche die Moral einer Gesellschaft vermitteln? Gewonnen haben letztlich die, die sagten, der Staat kann und soll es. Und darum gibt es auch heute noch große Diskussionen immer dann, wenn die sogenannten "freie" Schule, und das ist immer die private, katholische Schule, angegriffen wird. Diesen Zustand seit 1905 wird es noch lange geben, und ich glaube hier nicht an ein Happy-End.

TENDENZEN: In Ihrem Buch "Frankreich, die wunderbare Illusion" schrieben Sie, daß 1981 beim Papstbesuch in Frankreich alle Politiker dem Pontifex Maximus die Hand drückten, selbst der jetzt scheidende Führer der Kommunistischen Partei, Georges Marchais. Und doch sieht es so aus, als habe die Politik, haben die französischen Politiker eher ein gebrochenes Verhältnis zur Kirche. Warum?

Wickert: Es hat viel damit zu tun, was ich eben in anderem Zusammenhang sagte. Die französische Republik ist ein Kind der Revolution auch gegen die Kirche. Als der Papst kam, wurde er zwar von den Politikern empfangen, aber von der französischen Kirche nicht unbedingt willkommen geheißen! Das führte zu folgendem Ergebnis: Als die große Messe auf dem Flughafen Bourges stattfand, rief die französische Kirche nicht gerade dazu auf hinzugehen. Deswegen kamen dann nicht hunderttausend, sondern nur zehntausend Gläubige.

TENDENZEN: Die bürgerliche Gesellschaft in Frankreich und die katholische Kirche haben offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen von der "Idee Frankreich": Um welche Vorstellungen geht es hier, und wie weit könnten sie in Übereinstimmung gebracht werden?

Wickert: Frankreich hat sich stets als "älteste Tochter" Roms gesehen. Dies war sicherlich ein Bild, das bis zur Französischen Revolution 1789 in sich stimmte; denn Frankreich hat sich auch entsprechend benommen! Deswegen auch die Kreuzzüge, die von Frankreich aus starteten; man vertrat sozusagen die Kirche Roms. Das hat sich nach der Revolution schlagartig geändert, weil man dann sagte, die Idee, die Frankreich personifiziert, nämlich eine Republik zu sein, ist nicht mehr deckungsgleich mit den Vorstellungen Roms. Das ist der Kern der Auseinandersetzung.

TENDENZEN: Wie sehen Sie die Rolle der Kirche im bürgerlichen Leben Frankreichs?

Wickert: Ihre Frage geht an den Kern eines brennenden Problems, und zwar nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland! Das weltliche Element, und das ist im großen und ganzen der Materialismus, spielt hier eine zentrale Rolle. Die Kirche scheint heute nicht mehr in der Lage zu sein, dem modernen Menschen befriedigende Antworten auf seine Fragen und Bedürfnisse zu geben. Der moderne Mensch möchte Antworten, die er sich selbst aber nicht geben kann, z.B.: Was geschieht nach dem Tode? Diese Fragen beantwortet die Kirche nicht.

Home | Impressum | Haftung