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Interviews

Tendenzen Gespräch

Bundesminister a.D. Dr. Dieter Haack, Erlangen

"Es gibt heute wenige Vorbilder, denen nachzueifern lohnt!"

Der frühere Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und jetztiger Präsident der Landessynode der Evang.-Luth. Kirche in Bayern über den "LER-Streit in Brandenburg", über die Ökumene, die Wallfahrt zum "Heiligen Rock" und Johannes Paul II.
TENDENZEN: Herr Dr. Haack, in regelmäßigen Abständen kehrt der Gedanke der Trennung von Kirche und Staat in der Bundesrepublik in die Schlagzeilen (Stichwort:LER-Unterricht in Brandenburg). Wäre hierzulande überhaupt ein Konkordat wie 1905 in Frankreich durchsetzbar? Wäre dies nicht ein Todesstoß für Kirchen, denen die Mitglieder immermehr davon zu laufen scheinen?

Dr. Haack: Die Lebensfähigkeit der Kirchen ist nicht von der rechtlichen Qualität des Verhältnisses von Staat und Kirche abhängig. In der alten Bundesrepublik Deutschland hat sich das Verhältnis Staat und Kirche in den vergangenen Jahrzehnten positiv und partnerschaftlich entwickelt. Es gibt keinen Grund, von dieser bewährten Zusammenarbeit abzuweichen. Dazu gehört auch der Religionsunterricht, der nach Artikel 7, Abs. 3 unseres Grundgesetzes ordentliches Lehrfach an unseren öffentlichen Schulen ist. In Brandenburg soll nun der Religionsunterricht durch ein Pflichtfach Lebenskunde, Ethik, Religionskunde ersetzt werden. Dies widerspricht unserer Verfassungsordnung.

Die Begründung der brandenburgischen Landesregierung, daß nur 20 Prozent der Bevölkerung Christen seien, darf den Religionsunterricht nicht "aushebeln". Der Religionsunterricht ist nach unserer Verfassung ordentliches Lehrfach, nicht aber Pflichtfach. Jeder Schüler und jede Schülerin kann sich vom Religionsunterricht abmelden und als Ersatz einen Ethikunterricht besuchen.

Der Religionsunterricht widerspricht deshalb nicht der weltanschaulichen Neutralität unseres Staates.

In der Bundesrepublik Deutschland ist grundsätzlich Kirche und Staat getrennt. Allerdings spricht man von einer "hinkenden Trennung", weil das Grundgesetz durch die Übernahme der Kirchenartikel der Weimarer Rechtsverfassung gewisse Privilegien für die Kirchen übernommen hat, z.B. den staatlichen Kirchensteuereinzug und die Seelsorge in der Bundeswehr, den Krankenhäusern und Strafanstalten. Ich sehe überhaupt keinen Grund, von den bewährten Regelungen abzuweichen. Ich sage dies nicht, weil ich Angst vor Änderungen hätte. Aber warum soll etwas geändert werden, das sich bewährt hat?

TENDENZEN: Warum gibt es in den evangelischen Kirchen der neuen Bundesländer Vorbehalte gegen das von ihnen unterstützte partnerschaftliche Verhältnis von Kirche und Staat?

Dr. Haack: In den Kirchen der zum Glück untergegangenen DDR steht man dem Staat distanziert gegenüber wegen der Erfahrungen mit dem SED-Regime. Ich meine aber, daß man den DDR-Staat nicht mit unserem demokratischen Rechtsstaat vergleichen kann. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat fünf Jahre vor der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes eine Denkschrift mit dem Titel "Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie - Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe" vorgelegt, in der es u.a. heißt: "Für Christen ist es wichtig zu erkennen, daß die Grundgedanken, aus denen heraus ein demokratischer Staat seinen Auftrag wahrnimmt, eine Nähe zum christlichen Menschenbild aufweisen. Nur eine demokratische Verfassung kann heute der Menschenwürde entsprechen."

Leider sind diese Einsichten noch nicht ausreichend in den evangelischen Kirchen der früheren DDR übernommen worden. Daraus ergeben sich manche aktuellen Probleme, vor allem bei der Frage des Religionsunterrichts und der Militärseelsorge. Deshalb vergeben die Kirchen in den neuen Bundesländern viele Chancen der öffentlichen Wirksamkeit.

TENDENZEN: In den letzten Jahren scheint der ökumenische Schwung etwas nachgelassen zu haben. Verstehen Protestanten und Katholiken unter dem Begriff Ökumene unterschiedliches?

Dr. Haack: Ich bin ein überzeugter Anhänger der Einheit der Christen. Ich habe in meiner Antrittsrede nach meiner Wiederwahl als Präsident der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern im März dieses Jahres für eine ökumenisch geeinte christliche Kirche, in der die Vielfalt kirchlichen Lebens die Kirchen nicht trennt, sondern wieder attraktiv macht, geworben. Die Trennung der christlichen Kirchen berührt die Glaubwürdigkeit christlicher Verkündigung.

In vielen Gemeinden gibt es ein gutes Verhältnis von Katholiken und Protestanten. Insoweit meine ich nicht, daß der ökumenische Schwung nachgelassen hat. In der Gemeinde vor Ort gibt es keine dogmatischen und institutionellen Probleme. Dies zeigt sich besonders beim gemeinsamen Abendmahl.

Der Bamberger Erzbischof Braun hat bei unserer letzten Synodaltagung ein sehr beachtliches ökumenisches Grußwort gesprochen. Ich hoffe sehr, daß die Christen sich noch mehr als bisher aufeinander zu bewegen.

TENDENZEN: Ausgerechnet im 450. Todesjahr Martin Luthers findet unter Beteiligung der Evangelischen Kirche Deutschland eine "ökumenische Wallfahrt zum Heiligen Rock" nach Trier statt. Mit Verlaub: Müßte sich da Luther nicht im Grabe umdrehen?

Dr. Haack: Natürlich gibt es über die erstmalige Beteiligung von Repräsentanten evangelischer Landes- und Freikirchen an der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier eine Diskussion mit unterschiedlichen Meinungen. Die Kritiker der evangelischen Beteiligung sehen darin ein falsches Signal. Sie berufen sich dabei auch auf Martin Luther, der den Reliquienkult mit den Worten abgelehnt hat: "Ob wir gleich aller Heiligen Gebeine oder heilige und geweihte Kleider auf einem Haufen hätten, so wäre uns doch nichts damit geholfen, denn es ist alles tot Ding, das niemand heiligen kann."

Auf der anderen Seite hat der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Peter Beier, der an der Wallfahrt teilnahm, das Motto der Wallfahrt "Mit Jesus Christus auf dem Weg" als Orientierungslinie verstanden und geschrieben: "Der ungeteilte Heilige Rock kann ein greifbares Zeichen sein für die Einheit, die Christen verschiedener Konfessionen suchen. Wir machen sie nicht, aber in Christus ist sie schon da und wir sind zu ihm unterwegs. So verstehe ich Wallfahrt und deshalb müssen Protestanten keine grundsätzlichen Bedenken dagegen haben."

Wenn man die Trierer Wallfahrt als greifbares Zeichen der Einheit in Christus ansieht, kann man die evangelische Beteiligung begrüßen, auch wenn man Heiligen- und Reliquienverehrung nicht will. Da Martin Luther keine Trennung wollte, sondern eine Reform der Kirche, würde er sich unter den Bedingungen des Jahres 1996, bei denen es nicht um eine Demonstration katholischer Macht, sondern um den Zusammenhalt durch Jesus Christus geht, nicht im Grabe umdrehen, sondern sich eher an der Wallfahrt beteiligen.

TENDENZEN: Viele Menschen sehen im Papst die moralische Weltinstanz. Teilen Sie diese Einschätzung? Scheint womöglich das Papsttum nur deshalb stärker, weil sich in vielen Staaten die Demokratien in einer Schwächephase befinden. Wo ist eine geistige Elite, die die Führung übernehmen kann und will?

Dr. Haack: Der Papst hat natürlich eine hohe moralische Kompetenz. Er tritt für die weltweite Verantwortung der Christen ein, er fordert unablässig Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Demgegenüber sind kirchenpolitische Fragen und Entscheidungen (z.B. Zölibat, Empfängnisverhütung und Frauen als Priesterinnen) fast zweitrangig. Der Papst ist als oberster Bischof einer Weltkirche eine moralische Figur.

Ich glaube nicht, daß gegenwärtige Probleme in demokratischen Staaten das Papsttum stärken. Wir brauchen aber unabhängig von der moralischen Autorität des Papstes in allen Staaten und Gesellschaften Menschen, die sich in Spitzenämtern ihrer Aufgabe und Verantwortung bewußt sind. Die Aufgabe einer geistigen Elite in unserem Landes wäre es, bei allen Problemen Wertmaßstäbe zu setzen. Dies setzt die Bereitschaft voraus, auf Besitzstände zu verzichten und das Gespür für soziale Ausgewogenheit zu vermitteln. Leider gibt es in der jetzigen Lage nur wenige Vorbilder, denen nachzueifern lohnt.

TENDENZEN: Homosexuelle Paare werden in der Kirche gesegnet. Was ist in Ihrer Kirche los? Biedern sich manche Geistliche dem Zeitgeist an, weil sie glauben, damit "in" zu sein? Ist womöglich die Krise der Kirche durch die Glaubenskrise ihrer Seelsorgerinnen und Seelsorger ausgelöst?

Dr. Haack: In unserer Landeskirche werden Homosexuelle nicht öffentlich in einer trauungsähnlichen Zeremonie gesegnet. Die Trauung bleibt Mann und Frau, die eine Ehe eingehen wollen, vorbehalten. Wer in einer gleichgeschlechtlichen auf Dauer angelegten Partnerschaft leben und dazu Gottes Segen erhalten will, kann ihn von einem Pfarrer (nicht öffentlich) erhalten.

Der Vorwurf der Anpassung an den Zeitgeist wird immer schnell erhoben. Er ist bei der Beurteilung schwieriger Probleme, denen sich die Kirchen stellen müssen, nicht immer angemessen, wenn ich auch einräume, daß manche Äußerungen aus dem Bereich der evangelischen Kirche den Verdacht erzeugen, man orientiere sich zu sehr am Zeitgeist.

Ich warne davor, die gegenwärtigen Probleme in den Kirchen mit Schlagworten zu belegen. Das Wort Krise oder Glaubenskrise wird zu oberflächlich verwendet. Natürlich müssen sich die Kirchen selbstkritischen Fragen stellen. Die Menschen erwarten von den Kirchen, daß sie auch an der Wende zum 3. Jahrtausend ihren Glauben verkünden. Ich meine, daß die Kirche eine Botschaft zu verkünden hat, die den Menschen Hoffnung und Perspektive für ihr Leben geben kann. Das Evangelium als freimachende Botschaft und das daraus folgende diakonische Handeln muß kirchliches Reden und Handeln bestimmen.

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