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Interviews

Tendenzen Gespräch

Prof. Dr. Bassam Tibit, Göttingen

Stuermer

Dr. Basam Tibi, 1944 in Damaskus geboren, studierte Sozialwissenschaften, Philosophie und Geschichte in Frankfurt am Main und ist heute Professor für internationale Beziehungen an der Universität Göttingen sowie ab 1998 Bosch Harvard Fellow an der Havard University. Er gilt als Begründer der "Islamologie", einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Islam-Forschung. Zu seinen aktuellen Veröffentlichungen gehören u.a. "Im Schatten Allahs" (1994), "Krieg der Zivilisationen" (1995), "Der wahre Imam" (1996), "Pulverfaß Nahost" (1997) und "Aufbruch am Bosporus" (1998).







"Nur Euro-Islam sollte in Europa Platz haben!"

Prof. Dr. Bassam Tibi, Göttingen, über die Probleme der islamischen Migration in Europa und über die Rolle des Papstes Johannes Paul II. im Dialog der Religionen
Ranicki

Professor Michael Stürmer im Gespräch mit B. Tibi.

TENDENZEN: Ein türkischer Intellektueller - er gibt islamischen Religionsunterricht an deutschen Gymnasien - sagte mir einmal, wir Europäer - insbesondere Christen - seien in höchstem Maße dekadent. Der Geist des christlichen Abendlandes sei krank. Wenn wir gesund wären, würden wir nicht zulassen, daß sich der Islam so explosionsartig ausbreitet. Sehen Sie das auch so?

Dr. Tibi: Natürlich nicht! Aber das, was Sie da schildern, kenne ich, solche Äußerungen höre ich oft, allerdings nicht von der Mehrheit hierzulande lebender Muslime. Ihr Gesprächspartner gehört wohl zu einer Minderheit unter den Muslimen, die ich Islamisten nenne - diese geben sich zuweilen sehr lautstark und sind die Stimme des politischen Islam. Im Gegensatz zur Mehrzahl hier lebender unpolitischer Muslime sind die Vertreter des Islamismus religiöse Fundamentalisten. Alleine schon die Wortwahl "dekadent" offenbart einen hohen Grad an Arroganz gegenüber Europa, die sich auf dem Niveau der Euro-Arroganz auf der anderen, d.h. europäischen Seite bewegt. Die Islamisten können in ihrer beschränkten Gedankenwelt, den Begriff "Toleranz" gar nicht erfassen und legen das tolerante Verhalten als Dekadenz aus. Ein Trugschluß sicherlich, er zeigt allerdings, daß manche Europäer vor übertriebener Angst als euro-arrogant zu gelten und diskriminierend zu wirken, nur allzuleicht in das andere Extrem verfallen, nämlich sich selbstverleugend den Nicht-Europäern anzubiedern. Diese Selbstverleugnung, die zu Selbsthaß gesteigert wird, ist erstens keine Alternative zur Euro-Arroganz, zweitens erregt sie nicht nur Mitleid, sondern auch Verachtung - und hier schließt sich der Kreis: Die Islamisten sehen sich in ihrer missionarischen Einschätzung durch das Verhalten der Selbst-Verleugner aufs Neue bestätigt. Es ist zu hoffen, daß viele Europäer diese Zusammenhänge besser erkennen!

TENDENZEN: Liegt es womöglich an falschem Verständnis des Begriffs "Toleranz"?

Dr. Tibi: Das, was der angesprochene Kreis von Europäern unter Toleranz versteht - und ich kämpfe ja auch für Toleranz -, ist, daß man praktisch alles gelten läßt! Und sie denken, daß sie auf der anderen Seite dafür Anerkennung bekommen. Dieses Verhalten der Selbstverleugnung bis hin zur Aufgabe der Identität der eigenen Zivilisation wird nicht gewürdigt. Und zwar mit recht! Wer so etwas mit seinen Wurzeln, seinen Normen und seiner Kultur tut, hat dem anderen nichts mehr zu bieten, oder keine Identität. Im Gegenteil, er wird als "dekadent" empfunden. Aber Toleranz bedeutet nicht Selbstaufgabe! Toleranz bedeutet Anerkennung von demokratischen Spielregeln im Rahmen gegenseitiger Anerkennung und Praxis von Lebensformen demokratischer Kultur. Toleranz ist nicht "anything goes"!

TENDENZEN: Manchmal habe ich den Eindruck, als kämen viele Muslime hierher mit einem Sendungsbewußtsein, das im Verfall befindliche Europa mit islamischer Religion retten zu wollen. Irre ich mich da womöglich?

Dr. Tibi: Diesem Phänomen habe ich in meinem Buch "Europa ohne Identität?" ein ganzes Kapitel gewidmet: "Islamische Migration nach Europa zwischen Fakten und der deutschen Freund-Feind-Debatte über den Islam". Hier müssen Sie den Ausdruck "Hidjra" verstehen. Es ist ein heiliger Begriff im Islam und er bezieht sich auf die Auswanderung - oder Migration - des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im Jahre 622 n.Ch. Mit "Hidjra" beginnt die islamische Zeitrechnung! Seitdem ist "Hidjra" - wie ich im erwähnten Buch ausführe - im Sinne der Migration eine religiöse Pflicht für Muslime, weil sie einen Akt der Verbreitung des Islam, und zwar weltweit, symbolisiert. Ich habe in vielen Gesprächen den Eindruck gewonnen, daß die hierzulande Verantwortlichen - sowohl in Kirche und Staat - mit diesem religiös-kulturellen Zusammenhang nicht vertraut sind. Als Gegenstrategie hätten die Europäer geradezu die Pflicht, den hier lebenden Muslimen die Identität der Aufklärung, die Errungenschaften der Französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), das Prinzip der Achtung der Menschenrechte auch und gerade für Frauen anzubieten! Im 3. Teil meines erwähnten Buches nenne ich die Alternative: "Muhadjirun oder Citoyen", d.h. Muslime, die nach Europa einwandern als Verbreiter des Islam mittels "Hidjra" oder Muslime als europäische demokratische Bürger?

TENZENZEN: Aber ist - um es mal salopp auszudrücken - der Zug nicht schon längst abgefahren? Viele werden das Angebot der neuen rot-grünen Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft und den deutschen Paß zu erwerben, annehmen, aber nicht die Pflichten akzeptieren.

Dr. Tibi: Ich habe mein Buch "Europa ohne Identität?" geschrieben, weil ich glaube, daß die Lage ernst aber nicht hoffnungslos ist, d.h. daß es noch nicht zu spät ist. Wir müssen von den Muslimen im Geiste der Aufklärung fordern, daß sie hier Religion und Gemeinwesen, in dem sie Bürger sein wollen, trennen. Hier gibt uns Frankreich, welches in der Tat lange Erfahrungen mit islamischer Zuwanderung hat, ein gutes Beispiel. In Frankreich ist ein Mensch - gleich ob Christ oder Muslim - "Citoyen", d.h. europäischer Bürger im Sinne der individuellen Zugehörigkeit zu einem säkularen Gemeinwesen. Die Muslime müssen hier der Pflicht, islamische Mission ("Da'wa") durch Migration ("Hidjra") betreiben zu wollen und zu müssen abschwören, sich zu den europäischen demokratischen Gemeinwesen bekennen und hierbei in einen Dialog über einen Werte-Konsens eintreten. Beide Parteien müssen an sich arbeiten: Die Europäer müssen hierbei ihre Euro-Arroganz und Muslime ihr Sendungsbewußtsein aufgeben. Das ist die Botschaft meines Buches für einen inter-kulturellen Dialog.

TENDENZEN: Könnte es dennoch hierfür schon zu spät sein? Heiner Geißler, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im deutschen Bundestag wird vom SPIEGEL (Nr.16/97) mit den Worten zitiert: "Für die Intoleranten kann es keine Toleranz geben."

Dr. Tibi: Es gibt in Europa z.Zt. ca. 15 Millionen Muslime. Die organisierten Islamisten unter ihnen - dies sind diejenigen mit einem Sendungsbewußtsein, von dem wir gerade sprachen - schätze ich auf maximal drei bis fünf Prozent. Dennoch sind sie als Minderheit gefährlich, weil sie versuchen die Führung der islamischen Gemeinde zu "hijacken" - auch verfügen sie über die Mittel hierzu. Es liegen bereits Anträge dieser Gruppen vor als "öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft" anerkannt zu werden. Dies wäre eine Katastrophe für Demokratie und Euro-Islam. Ich glaube noch, daß die Möglichkeit besteht, die anderen 95 bis 97 Prozent für Europa und seine Werte zu gewinnen. Das ist meine euro-islamische an der Demokratie orientierte Alternative als positives Szenario für Europa! Europa darf seine Identität nicht verlieren, sondern muß im Gegenteil der überwiegenden Mehrheit der hier lebenden Muslime eine neue Identität - ich nenne sie Euro-Islam - geben. Islamische Fundamentalisten lehnen ihrerseits den Euro-Islam natürlich kategorisch ab. Wenn das euro-islamische Szenario scheitert, dann werden wir in zehn bis maximal 20 Jahren hier bosnische Verhältnisse als Ausgeburt eines Islam-Ghettos haben. Noch einmal, die Alternative heißt: Euro-Islam.

TENDENZEN: Vom christlichen Abendland kann man dann nicht mehr sprechen.

Dr. Tibi: Das kann man schon lange nicht mehr! Ich sehe zwei Phasen in der Geschichte des westlichen Europa. Das Christentum hat das Abendland seit dem 9. Jahrhundert geprägt. Das christliche Europa hat sich ungefähr zur Zeit Karl des Großen seit 800 n.Ch. gebildet. Im 16. Jahrhundert ging von Frankreich eine Entwicklung aus, die zur Folge hatte, daß Europa, das christliche Wurzeln hatte, durch Aufklärung und Säkularisierung her neu definiert wurde. Selbst der verstorbene katholische Theologe und Jesuitenpater Karl Rahner sprach vom "heidnischen Europa mit christlichen Reststücken". Also das Friedensszenario wäre für mich: Nur ein an das säkulare Europa angepaßter Euro-Islam hat hier Platz und muslimische "Citoyen" können in ihrem Alltag Religion und säkularisierte Bürgerkultur trennen. Im Gegensatz dazu das bereits angeführte Konfliktszenario: Ghettoisierung der Muslime - deren Minderheit dies womöglich gerade will! - mit ungeheurem Gewaltpotential für das 21. Jahrhundert.

TENDENZEN: Kann die Römisch-Katholische Kirche und der Papst hier nicht eine vermittelnde Rolle einnehmen? Johannes Paul II. will doch im Jahr 2000 in den Nahen Osten fahren und versuchen, die drei Religionen zusammenzuführen.

Dr. Tibi: Nein, eine maßgebliche Rolle des Papstes oder einen entscheidenden Beitrag der vatikanischen Kurie sehe ich hier nicht. Johannes Paul II. mag ruhig seine Weltreisen durchführen, aber er spielt keine Rolle im Dialog zwischen den Zivilisationen und dieser hat mit den organisierten Kirchen nichts zu tun. Wie Sie sicherlich wissen, bin ich am islamisch-jüdisch-christlichen Trialog führend beteiligt. Im Februar 1998 haben wir uns - Muslime und Juden - im spanischen Cordoba mit katholischen und protestantischen Christen getroffen, um Möglichkeiten eines abrahamitischen Friedens zu erörtern. Wir brauchen den Papst dazu nicht, auch nicht die organisierten Kirchen.

(Bild: Prof. Dr. Tibi im Gespräch mit Anton Schosch. Foto: J.Keitgen, Sinzig)

Buchtipp:

Europe ohne Identität?

Joachim Fest

Prof. Dr. Basam Tipi
Europa ohne Identität
Die Krise der multikulturellen Gesellschaft

C. Bertelsmann Verlag
München
379 Seiten, gebunden

DM 46,90,-

ISBN : 3-570-00169-5

Jahrhundertelang hat Europa das Weltgeschehen dominiert, unangefochten war der universelle Anspruch seiner Norm- und Wertsysteme. Gegenwärtig geben dezidiert auf Entwestlichung abzielende Ideologien religiöser Fundamentalisten und ethnischer Nationalisten den Ton an. Findet Europa auf diese Herausforderung einer Antwort? Ist seine Identität vor dem Heraufziehenden dritten Millenium erschüttert, und was ist an Europa bewahrenswert?

Auf diese und andere Fragen geht Professor Tibi in seinem jüngsten Buch ein. Es ist (s)ein Plädoyer für eine europäische Leitkultur, die das Zusammenleben verschiedener Kulturen überhaupt erst ermöglicht.

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