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Interviews

Tendenzen Gespräch

Ulrich Kienzle und Bodo H. Hauser, ZDF - Magazin: "Frontal"

"Die Kirchen können Menschen nicht mehr erreichen, weil sie verknöchert sind!"

Ulrich Kienzle und Bodo H. Hauser, die beiden beliebten Moderatoren des ZDF-Magazins "FRONTAL" (dienstags), über den islamischen Fundamentalismus, der Zukunft der Kirche und "political correctness" in Deutschland

TENDENZEN: Herr Hauser, Herr Kienzle welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der zunehmende islamische Fundamentalismus auf den europäischen Geist und die abendländische Kultur? Die in den letzten 25 Jahren über tausende neu erbauten Moscheen allein in den Staaten der Europäischen Gemeinschaft sprechen für viele eine deutliche Sprache.

KIENZLE: Ich sehe das nicht so dramatisch. Vieles wird in letzter Zeit auch übertrieben. Daß es den islamischen Fundamentalismus gibt, und daß er gefährlich ist, darüber gibt es keine Diskussion. Ich hoffe nur nicht - das gilt auch für den christlichen Fundamentalismus! -, daß er um sich greift. Das Problem sehe ich im politischen Nichtstun dagegen. Meines Wissens tut die Bundesrepublik nichts gegen die in der Nähe von Köln lebenden Fundamentalisten algerischer Herkunft. Es wird ihnen sogar Asyl gewährt.

HAUSER: Also, ich sehe in Europa schon eine gewisse Veränderung, auch wenn ich sie noch nicht für alarmierend halte. Das bewußte Bekenntnis zum Islam führt bei den bei uns wohnenden Moslems zur Veränderungen im normalen Bereich, z.B. im Glauben, dagegen ist zunächst auch nichts zu sagen. Der Übergang zur Radikalität, die dann zu politischen Aktionen führen kann, ist oft sehr fließend. Darin liegt ein gefährliches Potential.

KIENZLE: Es gibt auch hysterische Überreaktionen. Nach dem Untergang der Sowjetunion brauchen bestimmte Kreise einen neuen Feind. Und der islamische Fundamentalismus gibt sehr leicht diesen Feind ab...

HAUSER: ...aber diese Dinge sind nicht aus der Luft gegriffen...

KIENZLE:...aber natürlich ist es schlimm, was z.B. in Frankreich passiert. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, daß Frankreich in Algerien ein Regime unterstützt, das nicht sehr demokratisch ist.

TENDENZEN: Ist die Zunahme nicht nur des islamischen Einflusses, sondern auch vieler christlicher, esoterischer und neu-spiritueller Gruppen (z.B. die charismatische Welle in den Kirchen) nur ein Zeichen dafür, daß das Christentum in seiner angestammten Region (christliches Abendland) an Kraft und Schwung - vielleicht durch zu starke Institutionalisierung? - eingebüßt hat?

HAUSER: Mit Sicherheit,...

KIENZLE: Das ist so, ohne Zweifel!

HAUSER: ...weil die christlichen Institutionen teilweise so verknöchert sind, daß sie die Menschen nicht mehr oder nur sehr schwer erreichen. Das ist das Problem.

TENDENZEN: Hat die Kirche überhaupt noch Zukunft? Die Religion des modernen Menschen heißt "Selbsterfahrung"! Die Zeitschrift "Psychologie heute" erschien im Juli 1995 mit dem Titel: "Was Gott ist, bestimme ich".

HAUSER: Ich sehe für die Kirche durchaus Zukunft. Sie hat 2000 Jahre überstanden, sie wird auch die jüngsten Entwicklungen überstehen. Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen, die Menschen werden mit immer dringlicheren Problemen konfrontiert, Stichwort: Arbeitslosigkeit, und sie werden wieder in der Kirche und im Glauben Halt suchen.

KIENZLE: Da bin ich wirklich völlig anderer Meinung, Hauser. Es wird eine neue Spiritualität geben, wie man so schön sagt, und die Kirche wird nicht - sie ist es jetzt schon nicht! - in der Lage sein, dies aufzufangen. In den letzten Jahren hat sie sich so sehr von ihren Schäflein entfernt, das kann man nicht mehr aufholen.

HAUSER: Kienzle, da siehst du nur den Papst und den Klerus...

KIENZLE: Nein, nein, ich denke hier auch an die Evangelische Kirche in Deutschland. Auch sie hat dieses Riesenproblem. Denken wir an die Ex-DDR, dort sind mindestens 50 Prozent der früheren Gläubigen nicht mehr in der Kirche zu finden. Nein, ich glaube nicht, daß die Kirche die Kraft haben wird, die Menschen für sich und den Glauben wiederzugewinnen. Und ich bekenne offen: ich wünsche es mir auch nicht!

TENDENZEN: Dem gegenüber steht der Satz des französischen Philosophen und Schriftstellers Malraux: "Das 3. Jahrtausend wird entweder religiös oder gar nicht sein"?

KIENZLE: Ach, wissen Sie, das sind wunderbare Philosophensprüche. Die Wirklichkeit ist meist anders, als sie sich diese vorstellen.

TENDENZEN: Stichwort: "political correctness" = Politische Korrektheit. Als Roman Herzog nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten den Wunsch äußerte, Präsident aller Deutschen zu sein, "schrie" am nächsten Tag die eher links anzusiedelnde "Frankfurter Rundschau" auf: "Und wo bleiben die sechs Millionen Ausländer?" Oder ein anderes Beispiel: Hätte anstelle von Helmut Kohl Willy Brandt mit dem französischen Präsidenten Mitterand vor den Kriegsgräbern Händchen gehalten, gäbe es Lob statt Kritik. Hat hier nur der "falsche" Mann das Richtige getan?

HAUSER: Das kennen wir, da ist ein gewisses Diffamierungspotential, das häufig von links kommt,...

KIENZLE: Aber, Hauser, von rechts gibt es auch...

 

HAUSER: ...bleiben wir bei den Beispielen, Kienzle. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, daß dieser Bundespräsident von allen akzeptiert wird und seinen Vorgänger, von Weizsäcker, vergessen machen konnte.

KIENZLE: Die Frage der "Frankfurter Rundschau" sollte etwas ganz anders bewirken, nämlich sich Gedanken zu machen zum Thema der Integration der ausländischen Mitbürger. Das wird die Kernfrage der nächsten Jahre sein: Wie integrieren wir sie. Ich bin dafür, daß wir das tun.

HAUSER: Aber Kienzle, darüber brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Um die Integration kommen wir gar nicht herum.

TENDENZEN: Zurück zum Thema "Politische Korrektheit". Zum Beispiel der "Fall Heitmann". Es war eine großangelegte Ablehnungskampagne. Es wurden aber den selben Leuten in der Bevölkerung, die Heitman ablehnten ("frauenfeindlich", "reaktionär") verschiedene Aussagen Heitmanns vorgelegt, ohne daß man ihnen sagte, von wem sie stammten, und siehe da: 71 Prozent haben sich damit identifiziert...

HAUSER: Sag' ich doch, das war eine typische Kampagne...

KIENZLE: Nein, nein, der Mann hat sich mit irgendwelchen dummen Sprüchen profilieren wollen und hat dabei eins auf die Nase bekommen.

HAUSER: Die Kampagne kam in der Spitze von links, daran gibt es nichts zu rütteln. Noch was, Kienzle?

KIENZLE: Ja, Hauser, jemand, der sich so blödsinnig ausdrückt, läuft in der Mediengesellschaft Gefahr, daß er zumindest mißverstanden wird.

HAUSER: Und davon leben wir Journalisten manchmal nicht schlecht, nicht wahr, Kienzle?

KIENZLE: Ja, Hauser!

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