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Interviews

Tendenzen Gespräch

Christian Tenbrock, North Salem / USA

"In Amerika haben Protestanten mehr Einfluß als Katholiken!"

Christian Tenbrock, "ZEIT"-Korrespondent in Amerika, über die Rolle der Kirchen in der politischen Landschaft der USA.
Ranicki

Professor Michael Stürmer im Gespräch mit C.Tenbrock

TENDENZEN: Herr Tenbrock in Ihrem neu erschienenen Buch "Amerika - wohin?" schreiben Sie am Ende des Kapitels "Die Revolte der Rechten" den Satz: "Das Land und seine Menschen suchen nach Orientierung." Was heute in Amerika geschieht, kommt morgen nach Europa und in die Bundesrepublik. An welchen Beispielen können Sie diese um sich greifende Orientierungslosigkeit beobachten?

Tenbrock: Ich denke, daß wir sowohl in Amerika als auch in Europa einen Übergang aus dem Industriezeitalter in ein Informationszeitalter beobachten können. Es wird schon sehr viel über die "Macht der Computer" geschrieben und geredet. Die Umwälzungen in der Wirtschaft haben auch Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen im Alltag. So fragen sich in Amerika viele Menschen: in welche Richtung verändert sich unsere Moralvorstellung? Hier ist noch keine abschließende Antwort möglich. Diese Ungewißheit macht die Menschen unsicher, sie suchen nach festen Orientierungspunkten und stellen oft erschreckt fest, daß auch im Bereich der Religion vieles nicht mehr so sicher scheint, wie noch vor wenigen Jahren.

TENDENZEN: Wohin geht Amerika auf religiösem Gebiet?

Tenbrock: Es wird viel gesagt und geschrieben über die religiöse Rechte, die in der Republikanischen Partei Fuß gefaßt hat. Viele Teile der Parteiorganisation sind vor allem auf der lokale Ebene von starken religiösen Kräften unterwandert.

TENDENZEN: In den Vordergrund spielt sich immer häufiger ein junger Mann...

Tenbrock: ...Ralph Reed heißt er und war bis vor kurzem der Vorsitzende der "Christian Coalition". Er sieht sich als der erste Gotteskrieger auf der politischen Seite und hat in der Republikanischen Partei wirklich viel zu sagen. Natürlich nicht offiziell sondern hinter den Kulissen. Aber auf der "linken Seite" - wenn man das einmal so klassifizieren will - gibt es seit einigen Monaten eine interessante Entwicklung von linksorientierten vor allem katholischen Priestern, die zu diesen Strömungen in der Republikanischen Partei eine Art Gegengewicht darstellen. Wir sehen, daß die Religion in der amerikanischen politischen Auseinandersetzung eine wesentlich stärkere Rolle spielt als bei uns in Deutschland - zumindest soweit man es öffentlich zu sehen bekommt.

TENZENZEN: Ist es nicht eigentlich paradox: Amerika ist entstanden, durch den Zusammenschluß von Menschen, die vor der Verfolgung durch die röm.-kath. Kirche in der Alten Welt geflohen sind. Und heute stellen die Katholiken die größte homogene religiöse Gruppe in Amerika dar, weil die Mehrheit der Protestanten in unzählige Denominationen zersplittert ist.

Tenbrock: Sie haben recht - und doch kommt es hier darauf an, aus welchem Blickwinkel man das sieht. Ich war vorher Korrespondent in Korea. Dort haben wir beobachten können, daß der katholische Kardinal eine der wichtigsten Kräfte im Kampf gegen die Diktatur war. Und bedenken Sie: Der erste katholische US-Präsident war John F. Kennedy - von der Demokratischen Partei, die im Vergleich zu Republikanern eher "links" anzusiedeln ist.
In Amerika ist die katholische Kirche gespalten in einen linken und einen rechten Flügel.

TENDENZEN: Die Mischung zwischen Politik und Religion ist hochexplosiv. Welchen politischen Einfluß hat die katholische Kirche in Amerika heute und was ist da noch für die Zukunft zu erwarten?

Tenbrock: In Amerika hat die katholische Kirche keinen so großen Einfluß. Im Augenblick wenigstens. Sie meldet sich deutlich zu Wort, wenn es darum geht, die Interessen der Unterprivilegierten zu wahren. Viel deutlicher und massiver scheint mir der Einfluß "rechter" Protestanten auf die Politik. So haben sie auf der katholischen Seite keine Organisation, die der "Christian Coalition" ähnlich wäre.

TENDENZEN: Und dennoch erscheint es mir als ein Treppenwitz der Geschichte: Vor 200 Jahren gründeten Nachkommen der von der römischen Kirche verfolgten Pilgerväter Amerika, und heute sind Katholiken eher ein Fels in der Brandung der Orientierungslosigkeit.

Tenbrock: Die katholische Kirche heute ist nicht die verfolgende Kirche des 15. oder 16. Jahrhunderts...

TENDENZEN: ... in Amerika vielleicht. Und was ist in Südmexiko?

Tenbrock: ... wenn sie in demokratische Strukturen eingebettet ist, benimmt sie sich ganz vernünftig.

TENDENZEN: Vierzig Jahre war unsere Welt vom Konflikt zweier Weltmächte geprägt. Nun ist Amerika die einzig übrig gebliebene Weltmacht. Ist das ein Grund zur Freude oder Besorgnis?

Tenbrock: Das kommt darauf an, wo man politisch selber steht, doch am Ende sollte es Grund zur Freude sein. Die Amerikaner sind keine "Unschuldslämmer", das weiß jedermann, siehe Vietnam. Aber insgesamt gesehen, würden wir in Berlin heute nicht so einfach von West nach Ost spazieren gehen, wenn es die Amerikaner nicht gegeben hätte.

TENDENZEN: Amerika, du hast es besser! Kann man das heute noch sagen? Leben Sie persönlich lieber drüben oder hier in Deutschland?

Tenbrock: Ich vermisse drüben eine ganze Menge, so beispielsweise die Eßkultur, Kabarett und Theater in deutscher Sprache... Auf der anderen Seite fühle ich mich in Amerika freier. Hier fühle ich mich etwas bedrückt. Alles wird kompliziert und dauert viel zu lange - Stichwort: Ladenschlußgesetz.

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