Michael Behrens, Jahrgang          1964, aufgewachsen in den USA und im Libanon, Studium der          Politologie, Geschichte und Staatswissenschaft in Bonn          und Pullman, WA, USA. Arbeitet seit 1991 für die DEUTSCHE          WELLE in Köln, wo er als Fernsehredakteur und Moderator          tätig war. Anschließend Programm- und Medienreferent          des Intendanten. Seit 1997 Leiter de des Englischen          Programms der DW.
  
   
  
  
    TENDENZEN: Herr Behrens, die Hauptthese Ihres Buches "Der          kleine Bruder - Deutschland und das Modell USA"          lautet: "Deutschland muß die USA kopieren, um          essentiell Deutsches zu erhalten. Nur wenn wir die          freiheitlichen Werte Amerikas übernehmen, können wir          Wohlstand in Deutschland auch künftig garantieren."          Wo sehen Sie die Grenzen des "Kopierens"?
    Behrens: In          der Universität sagt man zu Studenten "(Fax)-          Kopieren heißt nicht kapieren". Dasselbe gilt auch          für das "Modell USA". Blinde, unüberlegte          Übernahme amerikanischer Verhaltensweisen und Muster          kann und darf nicht gelten. Aber wir sollten sehr wohl          die Trends beobachten, die in den USA fünf bis zehn          Jahre vorher aufbrechen als in Deutschland. Denn diese          wirtschaftlichen und sozialen Strömungen erreichen - im          Zeitalter des Globalismus - auch die europäische          Gegenküste. Also wäre es ein Zeichen von Ignoranz, wenn          wir diesen Vorsprung nicht nutzen würden.
    Der          wichtigste Trend ist der zu mehr Freiheit - und unter          freiheitlichen Werten verstehen Herr v. Rimscha und ich          vor allem Selbstverantwortung. Der Kommunismus ist tot,          der Sozialismus à la Tony Blair und Gerhard Schröder          ist nicht mehr vom linken Weltverbesserungstum geprägt.          Ein Staat kann nicht alle Probleme lösen, das          Individuum, die Familie, kurz, das Prinzip der          Subsidiarität ist gefordert. Dafür steht das          "Modell USA".
    TENDENZEN: Offenbart nicht gerade          die amerikanische Variante des Kapitalismus bisweilen          auch dunkle Seiten, die sich in ungeheuren sozialen          Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft          niederschlagen? Oder andersherum gefragt: Was ist vom          Gedanken Richard von Weizsäckers zu halten, der sagt,          die Zivilisation des Kapitalismus wird die          Herausforderung des 21. Jahrhunderts sein?
    
    Behrens: Herr v. Weizsäcker steht für die alte          Bundesrepublik-West vor 1989. Wenn er von          "Zivilisation des Kapitalismus" spricht, dann          vertritt er die Meinung, die Konsensgesellschaft sei das          Maß aller Dinge. Und er stellt sich unter Konsens den          typisch deutschen Einheitsbrei, das fröhliche          Miteinander von Parteien, Wirtschaftsverbänden und          Gewerkschaften vor. Das ist aber - in der Welt nach 1989          - nicht mehr zeitgemäß. Der US-Politologe Francis          Fukuyama vertritt in seinem Buch "The End of          History" die These, daß nach dem Ende des Ost-West          Konfliktes die Demokratie zwar gesiegt habe, es aber          dafür Spannungen innerhalb dieser Demokratien gebe. Und:          ist das schlimm? Nur unter Spannungen können sich          Demokratien auch weiterentwickeln, das "Modell          USA" lebt seit über zwei Jahrhunderten unter diesem          Motto - und es ist gut damit gefahren. Warum soll das          nicht bei uns, ein halbes Jahrhundert nach der          Staatengründung, auch gut sein. Konsens zumindest stand          bisher noch allzuoft als Synonym für Stillstand.
    
    TENDENZEN: Müssen wir Deutsche immer von anderen lernen? Ist nicht          das Experiment "von Sowjetunion lernen, heißt          Siegen lernen" in der ehemaligen DDR kläglich          gescheitert? Soll das jetzt heißen: "Von USA          lernen, heißt Siegen lernen"? Gibt es denn nichts,          was die USA von uns Deutschen lernen könnten?
    
    Behrens: Die          Deutschen brauchen nicht von morgens bis abends über die          Landesgrenzen zu schielen. Und "von der Sowjetunion          lernen" war kein freiwilliger Akt, sondern durch die          sowjetische Machtpolitik auferzwungen. Zu Recht ist          dieser "Lernerfolg" nach 1989 verpufft.          Trotzdem ist es nicht falsch, an erfolgreichen Modellen          Maß zu nehmen. Kein Land, kein Wert besteht an sich,          sondern immer nur im Verhältnis zu anderen. Man selbst          kann sich schwerlich der eigene Maßstab sein.
    Wir selbst          haben es schwer, den Amerikanern etwas          "anzubieten". Deutschland ist inzwischen ein          "newly declining country", ein Land auf dem          Abstieg. Hier und dort reisen noch US-Bildungspolitiker          über den Atlantik, um beim deutschen dualen          Bildungssystem Anleihen zu nehmen - das ist es aber auch          schon. Erst wenn wir wieder mehr Mut zur Freiheit haben,          können die lobenswerten, "typisch-deutschen"          Eigenschaften, von den Grünen als          "Sekundärtugenden" diskreditiert, wieder zum          Blühen gebracht werden. Erfindertum, Fleiß oder          wissenschaftliche Fundiertheit sind Pfunde, mit denen wir          im 21. Jahrhundert sehr wohl wuchern können.
    
    TENDENZEN: Läßt sich dies, was Sie in Ihrem Buch schreiben, auch          auf religiöse Systeme übertragen? Im Klartext: Warum          tun sich religiöse Systeme amerikanischer Prägung in          aller Welt und hier speziell in Deutschland so schwer          (z.B. Mormonen, Zeugen Jehowas)? Müßten diese und          ähnliche religiöse Gemeinschaften trotz des          amerikanischen Ursprungs doch nicht ihren besonderen          deutschen Weg suchen?
    
    
    Behrens: Amerikas          Kirchengeschichte ist eine ganz andere als die deutsche.          Amerika entstand als eine "city upon a hill",          als Vorstellung eines neuen Jerusalems. Sektierertum,          rivalisierende Kirchen waren prägend für Amerika.          Deutschland dagegen kannte seit der Reformation bis zum          Zuzug der muslimischen, zumeist türkischen Minderheiten,          den katholischen, protestantischen und, bis Holocaust, jüdischen          Glauben. Von daher haben es religiöse Systeme          amerikanischer Prägung schwerer - eine          Masseneinwanderung ist nicht zu erwarten, im Bereich des          Konvertierens stehen sie in "Konkurrenz" zu          einer Vielzahl neuer, esoterischer Sekten. Ein gewisses          Maß an "Anpassung" an deutsche Gegebenheiten          ist zu erwarten. In der Welt des Glaubens gibt es - im          Gegensatz zur Weltwirtschaft - keine Globalisierung.
    
    TENDENZEN: In Amerika gibt es einige interessante und zum Teil          bedenkliche Entwicklungen auf dem religiösen Gebiet          (z.B. Promise Keepers). Zusätzlich versuchen viele          religiöse Gruppen sowohl über die republikanische als          auch demokratische Partei politischen Einfluß zu          gewinnen - auch wenn z.Zt. noch sowohl das          Präsidenten-Paar Clinton als auch sein Vize, Al Gore,          Sympathien für die New-Age-Spiritualität zeigen. Was          ist von Amerika noch - womöglich als Modell - religiös          zu erwarten?
    
    Behrens: In          den USA findet gegenwärtig, nach dem Ausklang der 68er',          eine Welle neuer Spiritualität statt. Die Suche nach dem          Sinn des Lebens führt zum Erstarken traditioneller,          religiöser Gefühle und Werte sowie dem Zulauf zu          Sekten. Mit einer gewissen Zeitverzögerung ziehen diese          beiden Entwicklungen über den Atlantik. Hinzu kommt als          dritte Strömung in beiden Ländern die zunehmende Zahl          derer, denen Religion überhaupt nichts bedeutet. Dieser          Trend ist aber in Deutschland, prozentual betrachtet,          sehr viel stärker als in den USA. Grund hierfür ist der          Kommunismus in der früheren DDR, der fast zur          vollständigen Ausradierung des christlichen Glaubens          geführt hat. 
    Im          religiösen Bereich ist vor allem eine Revitalisierung          des christlichen Glaubens im weiteren Sinne, vor allem          jüngerer Eltern, zu erwarten. In einer Zeit zunehmender          Orientierungslosigkeit werden sich zunehmend junge Mütter und          Väter an dem moralischen Imperativ der 10 Gebote          orientieren und diese ganz praktisch auf das moderne          Leben anwenden, wie in den USA. Beispiel: Eltern, die          gegen die Gewalt im Fernsehen protestieren werden
    
   
 
 
  
  
 Der kleine Bruder 
  
  
  Michael Behrens
    Der kleine Bruder
    Deutschland und das Modell USA
    
    
    
    Bouvier Verlag
    
    Bonn, 2002
    199 Seiten, gebunden
    
    
    DM 38,- 
    
    ISBN : 3-416-02712-4
    
  
  Können          Deutschland und die USA voneinander lernen, um im          globalen Wettbewerb erfolgreich zu bestehen? Ja, aber          Deutschland wird dabei der kleine Bruder sein, es wird          eher auf der Schulbank sitzen als am Katheter stehen. Das          Amerika der zweiten Clinton-Administration hat bereits          seine Hausaufgaben gemacht. in Deutschland dagegen          versuchen eine neoliberale FDP, eine gemäßigt          sozialdemokratische CDU und eine SPD, die sich an          Bergarbeitern und nicht Chip-Herstellern orientiert, eine          Marschordnung für das 21. Jahrhundert festzulegen. Und          die Gewerkschaften scheuen Risiko und Eigenverantwortung.          Der Lernprozeß wird also in weiten Bereichen eine          Einbahnstraße sein - Deutschland wird das sehr viel          flexiblere Amerika kopieren und seine Lesungen adoptieren          müssen, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts          begegnen zu können.
  Die Linke lehnt          Amerikas hire-and-fire, McJobs und den Sozialabbau          ab. Die Rechte lehnt die Verwässerung kultureller          Normen, Amerikas multikulturelle Welt im eigenen Land,          ab. Beide Lager irren in ihrem Amerika-Bild. Sie schaden          damit Deutschland.
  Die          Journalisten und Amerika-Experten Michael Behrens und          Robert von Rimscha berichten über die wichtigsten          politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen          Bereiche, in denen sich beide Länder auch künftig etwas          zu sagen haben. Sie haben mit Dutzenden von          Entscheidungsträgern gesprochen, haben Menschen auf          beiden Seiten des Atlantiks interviewt. Denn die Zukunft          der Beziehungen beruht auf der Einsicht, daß beide          Nationen globalen Herausforderungen unterliegen. Obwohl          es paradox klingt: Deutschland muß die USA kopieren, um          essentiell Deutsches zu erhalten. Nur wenn wir die          freiheitlichen Werte Amerikas übernehmen, können wir          Wohlstand in Deutschland auch künftig garantieren.
  Beide          Autoren erhielten den "Arthur-F-Burns-Preis" des          Auswärtigen Amtes für deutsch-amerikanische          Berichterstattung.
  
   
  
  
  
  
 "Politische Korrektheit" in Deutschland 
  
  
  
  Michael Behrens
    "Politische Korrektheit" in Deutschland
    Eine Gefahr für die Demokratie
    2. erw. Auflage
    
    
    Bouvier Verlag
    
    Bonn, 
    189 Seiten, gebunden
    
    
    DM 39,80,- 
    
    ISBN : 3-416-02598-9
    
  
  Pluralismus,          Streitkultur und Meinungsfreiheit sind gefährdet, wo          Verhalten, öffentliche Stellungnahmen und Sprache einer          bis ins Detail gehenden Normierung folgen sollen. Eine          solche weltverbesserische Harmonielehre dringt derzeit          als Political Correctness in Deutschland ein. Ihr          Versuch, als von unbestreitbaren Moral-Grundsätzen          geprägt daherzukommen, macht sie zu einer Gefahr.          Wachsende gesellschaftliche Gegensätze werden          verkleistert durch die Vision der Heilung sozialer und          ideologischer Verschiedenheit mittels Sprache. Der alte          deutsche Traum von Ganzheit und Vollkommenheit verstellt          den Blick auf Realitäten und Möglichkeiten.
 
  Doch          während in den USA die Political Correctness          längst im erbitterten Proteststurm vor allem der          Populärkultur wankt, beginnt die Normierungssucht in          Deutschland erst. Ihre Spielwiesen sind mannigfach, ihre          Lösungen Scheinlösungen. Die Gleichberechtigung der          Geschlechter wird nicht durch große ,,Innen"          erreicht, die eigene Geschichte nicht durch abgesagte          Ausstellungen und Fußballspiele an Hitler-Geburtstagen          konfrontiert, die wachsen. de ethnische Vielfalt in          Deutschland nicht durch sprachregelnde          Ausländerbeauftragte in ihrer Bedeutung erkannt.
  
  Die Autoren          besichtigen die Politische Korrektheit in den USA und          spüren sie in Deutschland auf.: Ein Appell für die          nötige Akzeptanz der Vielfalt und für die Kultur des          Dissens.