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Interviews

Tendenzen Gespräch

Prof. Dr. Joachim Fest, Heidelberg

"Wir Deutsche sollten die ,Arme-Sünder-Bank' endlich verlassen!"

Prof. Joachim Fest, Historiker und Publizist, Autor des Buches "Der Untergang. Hitler und das Ende des Dritten Reiches" (gleichnamiger Film) über die Patriotismus-Debatte, den Faschismus und die Bedenken bezüglich des beabsichtigten EU-Beitritts der Türkei.
Joachim Fest


Professor Joachim Fest im Gespräch mit Anton Schosch Foto: Werner Renz Stimme der Hoffnung, Darmstadt


TENDENZEN: Nach den letzten Landtagswahlen in zwei östlichen Bundesländern zogen Parteien vom rechten politischen Rand in die Landtage ein. Hat das auch damit zu tun, daß seit der Gründung der Bundesrepublik vor über 50 Jahren nie richtig eine grundsätzliche Diskussion über den Patriotismus geführt worden ist?

JOACHIM FEST: Nein, das glaube ich nicht. So etwas kann man nicht bestellen oder per Knopfdruck abrufen. Es gab auch immer wieder kurze heftige Dispute, auch in den Medien. Ich kann mich gut erinnern als Friedrich Merz den Begriff der Leitkultur in die öffentliche Diskussion einbrachte, ging ein Schrei der Empörung durch das Land. Ich kann nur sagen die Deutschen sind verrückt, wenn sie sich darüber empört zeigen. Natürlich muß das annehmbar Deutsche, das zu großen Teilen auch das Europäische und in jedem Falle zu bewahren ist, in die Zukunft transportiert werden. Daß sich damals viele aufregten, war auf die deutsche Neigung zurückzuführen, sich klein zu machen und womöglich den achten Zwerg zu spielen.

TENDENZEN: In Fernsehbildern und -filmen ist oft zu beobachten, daß z.B. in amerikanischen Amtsstuben oder gar in den Kirchen (!), "Stars-and-Stripes", die Nationalfahne zu sehen ist. Man stelle sich vor, im Vorstandsbüro des BA-Chefs Weise würde in einer Ecke die deutsche Fahne stehen. Es würde vielleicht für eine SPIEGEL-Titelgeschichte nicht reichen aber für eine mittlere Aufregung schon. Talk-Master hätten für mindestens drei Monate Gesprächsstoff. Warum ist das so?

FEST: Weil die Deutschen ein gebrochenes Verhältnis zu ihrem Land haben und obendrein "gebrochene Verhältnisse" lieben. Und manchmal habe ich das Gefühl, sie fühlen sich ganz wohl auf der Anklagebank, auch der "Arme-Sünder-Bank". Das ist der Platz, der einem den Anspruch auf moralische Rechthaberei gibt und das ist, was offenbar dahinter steckt. Sie fühlen sich in Wahrheit nicht wirklich sündig. Sie wollen sich eher wichtig machen. Ich habe mich nie mit dieser Bank angefreundet. Das heißt nicht, daß ich in irgendeiner Weise die Verbrechen, die in der Nazizeit begangen wurden, hätte rechtfertigen wollen, was mir idiotischerweise mitunter nachgesagt wurde. Man sitzt nicht 60 Jahre mit ewigen Brustklopfen auf der Sünderbank. Das wird irgendwann Heuchelei. Und die Betroffenheitsbekundungen vieler Offizieller über die Schrecken der Nazizeit und wie wir sie überwinden könnten, das alles ist schon längst zu einem leeren Ritual geworden.

TENDENZEN: Wenn man über Faschismus spricht, erlebt man sehr schnell, die Verengung auf die politische Rechte. Aber die totalitären Machtstrukturen finden sich genauso auf der Linken! Und ist das schon Blasphemie, wenn man unter diesem Aspekt das innere Gefüge der Römisch-Katholischen Kirche hinterfragt?

FEST: Also, die Kirche lassen wir da außen vor. Auf das Gebiet des Glaubens lassen sich diese politischen Bewertungen nicht anwenden. Mit dem Begriff des "linken Faschismus" hat Ralf Dahrendorf seinerzeit die Studentenbewegung charakterisiert und das ist völlig richtig. Wissen Sie, die haben nicht mehr diskutiert, ihr bevorzugtes Instrument war Gewalt in der rhetorischen Maske der so genannten "Gegengewalt". Und wer anstelle des Arguments den Totschlag setzt, ist ein Faschist in meinen Augen.

TENDENZEN: Dr. Hans Peter Raddatz schrieb, zum Gründungsprofil des Islam gehöre der Antisemitismus. Eine Tatsache, die in der Öffentlichkeit kaum diskutiert wird. Der Schmusekurs unserer Regierungsmitglieder mit den arabischen und islamischen Führern (alleine die Behandlung des EU-Beitritts der Türkei!) müßte in jüdischen Kreisen alle Alarmglocken schlagen lassen, nicht wahr?

FEST: Wir haben in Europa und hierzulande mit einer elitären Minderheit von Politikern zu tun, die für den Türkei-Beitritt plädiert. Wir kennen die Türkei nicht gut genug. Das sind fast 80 Millionen Menschen. Wer weiß, wie es dort wirklich zugeht? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Herr Verheugen so sehr viel über die Verhältnisse im Landesinnern der Türkei weiß oder Herr Schröder [der Bundeskanzler, Anm.d.Red.] Ob die Leute, die diese Entscheidungen von großer Tragweite getroffen haben (denn sie sind getroffen worden, allem Beschwichtigungsgerede zum Trotz) überhaupt über die Lebensumstände und -auffassungen etwas wissen. Da habe ich meine allerstärksten Zweifel.

TENDENZEN: Adolf Hitler bekannte einmal, daß er Atatürk, den Gründer der modernen Türkei, als seinen geistigen Lehrer betrachtet.

FEST: Das ist mir nicht bekannt gewesen. Aber Hitler war gebrochen in seiner Grundhaltung - einerseits modernistisch, andererseits sehr der Tradition verpflichtet, vom Atavismus [das Wiederauftreten der Merkmale der Vorfahren, der Vor-Vor-Generationen, Anm.d.Red.] ganz zu schweigen.

TENDENZEN: Die dunkle Seite der Macht, der Schatten in der Geschichte ...

FEST: ... ja, die hat auch die Türkei des Atatürk. Denken Sie an das armenische Volk. Die so genannten Armeniergreuel waren die ersten systematischen Menschenausrottungen z u Beginn des vorigen Jahrhunderts. Aber ich will den Türken nicht vorhalten, was auf andere Weise unsere eigene Geschichte belastet. In jedem Falle ist zu bedenken, dass die Türkei eine grundlegend andere Kultur besitzt. Ursprünglich war immer gemeint, dass Europa nicht nur eine Wirtschafts- und Währungseinheit ist, mit etwas Umweltschutz dazu, sondern eine Wertegemeinschaft. Das hat eine geschichtslose politische Führung nie gesehen und sieht das bis heute nicht.

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