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Interviews

Tendenzen Gespräch

Ignatz Bubis, Frankfurt

"Ein jüdischer Bundespräsident würde die Stimmung noch verschlimmern!"

Ignatz Bubis, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland über den Nahostkonflikt, den Begriff "Kollektivschuld" und Juden als "Sündenböcke" in der Weltgeschichte
Ranicki

Professor Michael Stürmer im Gespräch mit I. Bubis.

TENDENZEN: Herr Bubis, ist nicht der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn eigentlich nur eine "Familienfehde" unter den Halbbrüdern, da beide Völker einen gemeinsamen Vater, Abraham, haben? Mischen sich da nicht Außenstehende zu viel ein?

BUBIS: Auch wenn der Nahost-Konflikt tatsächlich eine "Familienfehde" ist, so hat diese doch für die ganze Region eine weit größere Bedeutung. Mit Region meine ich nicht nur die arabischen Staaten und Israel, sondern auch die gesamte Mittelmeerregion. Ich hoffe sehr, daß es dort zu einem Frieden kommen wird.

TENDENZEN: Im April 1996 wurde Ihnen der Theodor-Heuss-Preis verliehen. Der liberale erste Bundespräsident war, wie man in Rückschau unschwer feststellen kann, ein Glücksfall am Neuanfang nach dem Krieg. Er weigerte sich stets vor dem Hintergrund der Greultaten des Naziregimes von einer Kollektivschuld - ein Begriff, der in Diskussionen nicht zu altern scheint - zu sprechen, dafür um so eindringlicher von einer Kollektivscham. Wie sehen Sie das?

BUBIS: Schuld ist immer etwas persönliches und insoweit kann es keine Kollektivschuld geben, auch wenn das Christentum 1900 Jahre lang von der Kollektivschuld der Juden an der Kreuzigung Jesu gesprochen hat. Diese 1900 Jahre lang wußte die Kirche sehr wohl, daß der Gekreuzigte Jude war und die Kreuzigung durch die Römer erfolgte. Was die Verbrechen des Nationalsozialismus angeht, so kann nicht von einer Kollektivschuld - mir ist der Begriff Kollektiv ohnehin fremd - gesprochen werden. Es gibt allerdings eine Verantwortung der nachgeborenen Generationen für die Gestaltung der Zukunft in Kenntnis der Vergangenheit.

TENDENZEN: Aus der Geschichte lernen wir, daß es, wenn man von eigenem Versagen und Fehlverhalten ablenken will, ein beliebtes - und leider auch bewährtes - Mittel ist, Feindbilder zu schaffen. Warum sucht(e) man sich Ihrer Meinung nach hierfür immer die Juden aus? Spielt hier womöglich der Neid eine Rolle? Viele Glanzpunkte in der Geschichte (z.B. im kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Bereich) wurden von Frauen und Männern jüdischer Abstammung gesetzt.

BUBIS: Juden dienten seit 2000 Jahren als Sündenböcke bzw. Feindbilder in der Geschichte. Gegenwärtig kommt in Deutschland, aber nicht nur hier, auch das Feindbild "Fremde" dazu, wobei für viele "Juden" und "Fremde" gleichbedeutend sind. Die gleichen Leute, die nicht gerne hören, wenn man von "den Deutschen" spricht, verallgemeinern sehr schnell und sprechen von "den Juden", "den Türken", "den Zigeunern", etc. Warum das so ist entzieht sich meiner Kenntnis.

TENDENZEN: 400 "stinknormale Bürger" (SPD-Ministerpräsident Stolpe) des brandenburgischen Gollwitz weigern sich an der Schwelle zum 21. Jahrhundert 50 jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion aufzunehmen. Was läuft hier eigentlich falsch? Bekommt hier der Titel Ihrer 1996 erschienenen Autobiographie "Damit bin ich noch lange nicht fertig" eine traurige Aktualität?

BUBIS: Die Haltung der Gollwitzer entspricht genau dem, was ich gerade gesagt habe und bestätigt es eindrucksvoll. Im übrigen: Auch 1933 waren es "stinknormale Bürger", die den Nazis zugejubelt hatten.

TENDENZEN: Die Wochenzeitung "Die Woche" schlug Sie seinerzeit als Nachfolger Richard von Weizsäckers im Amt des Bundespräsidenten vor. Müssen Sie wirklich unser aller Bundespräsident werden, damit sich etwas ändert in diesem unseren Lande?

BUBIS: Nach meiner Meinung würde ein jüdischer Bundespräsident die Stimmung noch verschlimmern. Die Mehrheit der Bundesbürger sieht in den Juden "Fremde". Und wer möchte schon einen Fremden als Präsidenten haben?

TENDENZEN: Als Sie Ende 20er Jahre geboren wurden, zählte unsere Erde ganze zwei Milliarden Menschen. Heute hat sich die Zahl der Menschheit verdreifacht. Demnächst werden die lebenserhaltende Möglichkeiten erschöpft. Sehen Sie einen Ausweg, eine Lösung, gar eine friedliche Zukunft?

BUBIS: Noch ist die Erde groß genug, daß alle Menschen friedlich miteinander leben könnten. Ob es so wird, wird an den Menschen liegen.

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