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Interviews

HINTERGRUND

Letztes Gericht oder neue Befreiung

Die von der Flut getroffenen Buddhisten, Hinduisten, Muslime, Konfuzianer und Christen besitzen eine Fülle religiöser Überzeugungen mit kontrastreichen Beziehungen zu Leben und Tod. Ihre Religion tröstet sie auf unterschiedlichsten Wegen. Der Glaube ist mit der Täglichkeit ungleich tiefer verwoben als in den weitgehend säkularisierten christlichen Regionen.

Die überwiegend islamischen Menschen in Sumatra sind vom "unordentlichen Tod" hart getroffen. Die monotheistische Religion fordert einen besonders pfleglichen Umgang mit dem Gestorbenen in denkbar knapper Zeit. Er muß bestattet sein, bevor der Körper zu verwesen beginnt. Der Tote ist zu reinigen, der männliche in drei, der weibliche in fünf weiße Tücher zu hüllen und ohne Sarg zu bestatten - auf der rechten Seite liegend, die Füße gen Mekka.

Im Unterschied zu Hinduismus und Buddhismus, die zahlenmäßig in Thailand, Indien und auf Sri Lanka überwiegen, hält der Islam die Einzelseele gegenüber Allah verantwortlich. Er richtet und befindet über sie nach seiner Gnade. Das Leben ist Prüfung und Bewährung. Gute Taten werden zehnfach belohnt, Sünden nur einfach bestraft. Wer unbeirrbar an den einen Gott glaubt, erreicht das Paradies, die Existenzform des ewigen Lebens. Die Hölle hat nicht die Endgültigkeit der christlichen Vorstellung. Sie ist Durchgangsstadium mit Schmerzensstrafen.

Die im Islam übliche tiefe Trauer um den Verstorbenen weicht im Buddhismus einem Totengedenken, das bis in die Rituale von dem Glauben an die Wiedergeburt bestimmt ist. Die Toten werden verbrannt, im Hinduismus wird vorher die Schädeldecke geöffnet, damit die Seele entweichen kann. Mönche, oft auch Angehörige, rezitieren aus Reden Buddhas. Man gedenkt der Toten, kennt aber keine Totentrauer, denn der Tod gehört zum Lebensprozeß, der sich in einer Wiedergeburt fortsetzt. Der Mensch besitzt kein bleibendes Ich, keine personale Seele, was die Voraussetzung jeder Jenseitsvorstellung ist.

Dafür aber die Möglichkeit der Erleuchtung. Das Leben wird in der Lehre Buddhas als Last empfunden, als ein "Rad", von dessen Unwissen, Begierden und Neid sich der Mensch durch "rechtes" Tun, Wollen, Reden, Denken und Sich-Verhalten entbinden kann. Verdienste verstehen sich als eine Art "kenitischer" Energie, mit dem Wort Dharma bezeichnet, durch die man die Richtung der Wiedergeburt bestimmen kann: als Tier, Hungergeist oder Höllenwesen in negativer, als Mensch, friedliche oder zornvolle Gottheit in positiver Konsequenz. Das Ende der Wiedergeburt, die Erleuchtung, das Nirwana, wird selten erreicht. Da das Leben in Wiedergeburt mündet, soll der Mensch den Tod in Gelassenheit entgegennehmen. Doch ist der Tod nicht ohne Erregung. Der Scheidende sieht seine schlechteste Tat, oder er erlebt, je nach der Fülle seiner Verdienste, die "Vision" einer besseren Wiedergeburt. Auch der Hinduist sträubt sich nicht gegen den Tod. Er nimmt ihn an. Die Asche wird in Flüsse und auf Pilgerpfade verstreut. Offiziell wird der Gestorbene nicht beweint. Traditionell wurde die Witwe mit verbrannt, damit sie mit dem Mann in irgendeiner Weise vereint bleibe. Witwenverbrennung ist heute selten geworden.

Im Unterschied zum späteren Buddhismus ist der Hinduismus keine Stifterreligion, verfügt über einen Götter-Kosmos, eine Priesterschaft, die Brahmanen, einen Schriftenkanon und eine soziale Gliederung in Kasten, denen unterschiedliche, als Verdienste bewertete Pflichten obliegen. Entsagung verkürzt den Kreislauf der Wiedergeburt, die wie im Buddhismus dem Tod den Schrecken nimmt.

Wie viele unter den Opfern Taoisten und Konfuzianer waren, bleibt unklar. Konfuzius hatte keine dezidierte Vorstellung vom Tod und einem Leben danach, seine Moralphilosophie beschäftigte sich mit Staat und Lebensordnung. Dies schließt die Ahnenverehrung ein, die den Hinterbliebenen ein achtungsvolles Gedenken auferlegt, dem Sohn etwa eine lange Arbeitspause. Wie der mit kosmischen Ideen durchsetzte Taoismus, der als Volksreligion gilt und heute erneut an Einfluß gewinnt, war der Konfuzianismus im kommunistischen China lange verachtet und verfolgt. Totenehrung gab es nicht. Die Leichen wurden vielfach an Bahngleisen verscharrt.


Herbert Kremp, DIE WELT

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Axel-Springer-Verlages

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