Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung. Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
 
  Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung. Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
 "In der Jugend meinen wir, das Geringste, was das Leben uns gewähren könne,   			sei Gerechtigkeit. Im Alter erfährt man, dass es das Höchste ist." 
      Marie von Ebner Eschenbach (1830-1916)
Gibt es Gerechtigkeit?   			Gibt es sie für alle? Nimmt sie zu oder ab? Genießen 100 Astronauten mehr Gerechtigkeit   			als 100 Neandertaler genossen? Wenn nein, warum nicht?
        
      Gerechtigkeit gilt seit grauer Vorzeit als einer der kostbaren Besitzstände   			der Menschen. "Das Schönste ist Gerechtigkeit", sang um 400 v. Ch. Aristophanes.   			Um 400 n. Ch. befand Kirchenlehrer Augustinus, Reiche ohne Gerechtigkeit seien   			"eine große Räuberhöhle". 
  
      Immanuel Kant (1724-1804) ging noch weiter: "Wenn die Gerechtigkeit untergeht,   			hat es keinen Wert mehr, dass Menschen auf Erden leben." Und der Habsburger Kaiser   			Ferdinand I. (1503-1564) meinte vermutlich Ähnliches, auch wenn es bei Majestät   			etwas forscher klang: "Gerechtigkeit werde geübt und sollte die Welt dabei zugrunde   			gehen."
  
      So weit waren die Jahrhunderte sich einig: Gerechtigkeit erhöht die Menschen.   			Indes: Wie schaut sie aus? Die Facetten des Wortes, das zunächst so diamantklar   			leuchtet, funkeln sinnverwirrend wie die des Kohinoor. Gerechtigkeit hängt offenbar   			von Zeit und Standpunkt ab. Für Mutter Teresa bedeutete sie vermutlich nicht   			dasselbe wie für Saddam Hussein. 
  
      Früher galten Gottesgnadentum und Sklaverei für gerecht, heute eher selten. Für   			den einen gibt es den gerechten Krieg, für seinen Feind womöglich nicht. Unter   			kaum einem anderen Feldzeichen wurden in der Geschichte entsetzlichere Untaten   			begangen als unter dem Banner angeblicher Gerechtigkeit. Kaum ein Ausdruck ist   			mehr missbraucht worden.
  
      Staatsmänner und Heuchler lieben mit dem Begriff zu lügen. Demokraten und Diktatoren   			ziehen ihn sich als weiße Weste über. Kaum ein Politiker, der nicht von sich   			behauptet, für Gerechtigkeit zu streiten. Und völlig unentbehrlich ist sie für   			die großen Gleichmacher der Gegenwart. Für die ist gerecht, was einebnet. "Wenn   			sie sagen: ,Ich bin gerecht', so klingt es wie ,Ich bin gerächt'", hörte schon   			Nietzsches feines Ohr.
  
    Wie gerecht kann es überhaupt in einer Schöpfung zugehen, in der Kreaturen geboren   			werden, um anderen als Nahrung zu dienen? Es gibt darauf so wenig eine Antwort wie   			auf die Frage, warum die Fische einst ans Land krochen. Sicher scheint jedoch:   			Gerechtigkeit für alle Menschen gleicht einem Regenbogen, prachtvoll und unerreichbar.   			Sie wird uns Lebenden nicht mehr vergönnt sein. Die Sonne wird vorerst - wie es in   			der Bibel heißt - weiter "auf Gerechte und Ungerechte" scheinen. Das vielleicht   			Schönste an der Gerechtigkeit kann ihr dabei nicht abhanden kommen: Wer auch   			immer nur ein Gran Gerechtigkeit übt, verbessert diese Welt - um mindestens ein Gran.
Claus Jacobi

Claus Jacobi
    Von Glück, Gespenstern und dem Geheimnis des Lebens 
    
    Denkanstösse über den Tag hinaus
    
    208 Seiten, gebunden
    
    Goldmann Taschenbuch 
    
    
    29,80 DM
    
    
    ISBN : 3-7766-2074-9
    
  
Eine Auswahl von 78 Kolumnen, die Claus Jacobi in den letzten Jahren veröffentlicht hat, ist jetzt zum ersten Mal als unter Von Glück, Gespenstern und dem Gehiemnis des Lebens erschienen. Es sind Glanzstücke des deutschen Journalismus. Jacobi liebt Geschichte und Geschichten. "Political correctness" läßt ihn "kalt wie der Kuß einer Tante". Und er ist überzeugt: "Wenn Heuchelei dick machen würde, bräuchten unsere Parlamente Flügeltüren".