AKTUELL
Was uns das Kopftuch sagen will
Von Hans-Peter Raddatz
Nachdem man sich vor einiger Zeit darauf geeinigt hat, das Kruzifix auf Wunsch aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, dreht sich nun die Debatte darum, ob das moslemische Kopftuch im öffentlichen Schuldienst zugelassen werden soll. Am Ende des Instanzenweges einer moslemischen Klägerin ist es das Bundesverfassungsgericht, das sich am kommenden Mittwoch über wichtige Gesichtspunkte klar werden muss: Beschneidet ein Verbot das Persönlichkeitsrecht oder die Religionsfreiheit? Verletzt eine Erlaubnis das Neutralitätsgebot des Staates oder das Recht der Kinder auf negative Glaubensfreiheit?
Zuvor hatte dieser Tage der Bundesgerichtshof die Klage einer Unternehmerin als unschlüssig abgewiesen, die sich dagegen wehrte, eine Kopftuchträgerin in ihrem Betrieb zu beschäftigen. Damit ist höchstrichterlich entschieden, dass sich die unternehmerische Freiheit der Religionsfreiheit zu beugen hat. Nach vorherrschender Lesart ist das Kopftuch als Zeichen der Freiheit für Glaube und Persönlichkeit zu sehen. Die Religionsfreiheit ist ein unverzichtbares Gut in einem säkularen Staat, der religiös neutral ist, sich also sozusagen zur Bekenntnisfreiheit bekennt.
Das Kopftuch, dessen Tragen Pflicht der orthodoxen Moslemin ist, bestätigt allerdings nicht nur ein Bekenntnis. Darüber hinaus ist es auch ein Symbol für das islamische Geschlechterverhältnis, das sich in einer strikten Trennung von öffentlichem und privatem Raum und in der Verhüllung der Frau ausdrückt. Die Religion des Islam ist auch eine politische Rechtsordnung, deren Bestand auf dieser - männlich bewachten - Trennung beruht. In einer solchen Ordnung ist das Kopftuch für die intakte Wächterfunktion des Mannes ein unverzichtbares Signal.
Darüber hinaus versteht sich der Islam als universale Ordnung, die kein Recht auf Freiheit der Religion kennt. Die Identität der Kopftuchträgerin besteht also wesentlich in dem Bekenntnis zu einer Religion, die auf dem Boden der deutschen Verfassung die Freiheit fordert, innerhalb ihrer Gemeinschaft die Unfreiheit der Religion und die Dominanz des Mannes als religiöse Vorschrift durchzusetzen. Dabei sind alle Kräfte der Gemeinschaft verpflichtet, wo immer möglich, der eigenen Rechtsordnung (Scharia) zum Durchbruch zu verhelfen, nicht der sie umgebenden, nicht islamischen Ordnung zu folgen.
Was die Verantwortlichen bisher präzise vermieden haben, ist eine konkrete Positionsbestimmung dieser Glaubensgemeinschaft in Deutschland. Als Domäne des Mannes kann der öffentliche, politische Raum umso islamischer funktionieren, je verhüllter die Frau als Repräsentantin des Haushalts auftritt. Selbst - oder gerade - wenn sie eine öffentliche Tätigkeit ausübt, ist ihre Verhüllung umso notwendiger. Die Trennung betrifft nicht nur den Schutz der weiblichen Sexualität, sondern vor allem den Schutz der Frau vor der fremden Rechtsordnung. Die Verhüllung wird umso verpflichtender, je klarer sich die Scharia, der "Islamgrad" der Gemeinschaft, mit Moscheebau, Islamunterricht etc. geltend macht.
Umso weniger kann die einzelne Moslemin über das Für und Wider ihrer Kopfbedeckung als Zeichen ihrer "Identität" entscheiden. Sie steht von zwei Seiten unter Druck - privat seitens des Mannes und der Familie und offiziell seitens der Moschee und der Gemeinde. Je weiter allerdings das Kopftuch - als Symbol des Bekenntnisses zur islamischen Rechtsgemeinschaft - seinerseits in den öffentlichen Raum vorrückt, desto weiter entfernt sich das betroffene Rechts- und Verfassungssystem vom Status des bekenntnisfreien Staats.
Wird die Verhüllung - als zentrale Forderung des islamischen Rechtssystems - im demokratischen System realisiert, setzt dieses die verfassungsmäßigen Grundrechte der moslemischen Frau und das allgemeine Recht auf negative Glaubensfreiheit außer Kraft. Somit ist die Bedeutung des Kopftuchs keineswegs auf den öffentlichen Dienst beschränkt. Je weiter sich das geltende Basisrecht zurückzieht, desto freier kann sich die Islamgemeinschaft entfalten - mit allen Risiken des latenten Radikalismus.
So ist allein schon die Präsenz des Kopftuchs im öffentlichen Straßenbild der geeignete Index für den aktuellen Stand des islamischen Rechtsbewusstseins. Es zeigt dabei auch, inwieweit dieses Bewusstsein die nicht islamische Umgebung ablehnt, ein Phänomen, das sich derzeit in Deutschland und Europa auszubreiten scheint. Es ist allerdings auch festzustellen, dass bei uns die undemokratischen Strategien des real existierenden Islam in Politik, Kirche und Universität aktive Unterstützung finden. Die politische Forschung hat diesen proislamistischen Trend kontrovers aufgegriffen und Aspekte zur Diskussion gestellt, die die Möglichkeit eines neuen Radikalismus in Europa nicht entlegen erscheinen lassen.
Hans-Petter Raddatz