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Interviews

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Die Nation unter Gott

Von Prof. Dr. Michael Stürmer

George W. Bush, 43. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hält es wie die meisten seiner Vorgänger. Er sucht den Stärksten aller Verbündeten, wenn er göttlichen Beistand herabfleht. Unmittelbar nach 9/11 sprach er vom Kreuzzug, ohne viel Rücksicht auf arabische Gefühle, und gegen Saddam und seinesgleichen hielt er es mit der "axis of evil" nicht anders. Die Bezeichnung des Feindes als das "Übel" ist mehr theologischen Ursprungs als aus Clausewitzschem Geist. Bibelstudien gehören zu den täglichen Exerzitien im Weißen Haus. Wem dort seine Karriere lieb ist, der darf nicht fehlen.

Den Seinen ist Amerika das Neue Jerusalem der Johannes-Apokalypse. Die Washingtonians "inside the beltway" glauben allerdings, ihrer weltlichen Disposition nach, weniger daran als die Frommen des südlichen "bible-belt". Die leuchtende Stadt auf den Bergen, das neue Jerusalem, das die Frommen zu bauen haben: Das ist Amerika, allen Teufeln und dem Rest der Welt zum Trotz. Der Sieger des Zweiten Weltkriegs in Europa, der spätere Präsident Dwight Eisenhower, nannte seine Memoiren "Crusade in Europe". Während der Jalta-Konferenz im Februar 1945 lauschten Roosevelt und Churchill dem amerikanischen Militärsong "Onward Christian Soldiers", während über Stalins Gefühle nichts bekannt wurde. "Dieu le voult" - Gott will es, so sprachen sich die Kreuzritter, ob beim Kämpfen, Plündern oder Sterben, Mut zu: Seitdem hören Moslems - übrigens auch Juden - nicht gern vom Kreuzzug.

Die Anrufung der höchsten Autorität, zumal in Zeiten des Krieges, gehört zu den amerikanischen Ritualen - auch wenn Bundespräsident Rau solches öffentlich, und theologisch berechtigt, missbilligt und zugleich ein abfälliges Lächeln die Gesichter abgeklärter Europäer überzieht, die vergessen, dass es noch nicht lange her ist, dass auf besseren Münzen wie auf Koppelschlössern allüberall von Gott die Rede war, halb als Wunsch und halb als Zuversicht: "Gott mit uns". In Amerika konstituiert sich angesichts des Krieges immer aufs Neue das Volk Gottes. Die Stars and Stripes, ob im Wind flatternd oder den Sarg eines Gefallenen deckend, erinnern an das Wort Rankes, es seien die Nationen "Gedanken Gottes".

"Conquer we must when our cause is just" - so heißt es wie Trompetenschall seit dem (Angriffs-)Krieg von 1812 gegen Großbritanniens kanadische Besitzungen in der Hymne der Republik. Die Berufung auf Gott erübrigt die quälende Frage nach dem gerechten Krieg. Tatsächlich aber entspricht die ekstatische Berufung auf Gott nicht der amerikanischen Political Correctness von heute. In Wünschen zur Weihnachtszeit erlaubt sie kaum mehr als "season's greetings", um unchristlichen Gefühlen nicht zu nahe zu treten. Aber Krieg ist ein anderer seelischer Aggregatzustand; die göttliche Rückversicherung gehört dann zum Konsens der Nation, dem der Präsident Ausdruck gibt, nicht nur Commander in Chief, sondern auch Hohepriester einer Ecclesia militans.

Es ist der Grundwiderspruch Amerikas, der darin Ausdruck findet: Die Pilgerväter verließen Europa nicht wegen seiner Kriege und Fürsten, sondern getrieben von religiösem Feuer, für das in Europa nach den massenmörderischen Stände- und Religionskriegen des 17. Jahrhunderts kein Raum mehr war. Die militanten Prediger wurden von den europäischen Fürstenstaaten in die Kirchen und Seminare zurückgeschickt, der Staat und sein Friede waren wichtiger als Gott und der Unfriede seiner Diener. Die europäische Aufklärung entstand gegen den religiösen Bürgerkrieg.

Es war historische Ironie, dass anno 1776 die Auflehnung der amerikanischen Gentlemen gegen ihre Standesgenossen in England mit der Unabhängigkeitserklärung die irdische Glücksverheißung des "right to the pursuit of happiness" in Europa auslieh, Freiheitsversprechen hier und jetzt anstelle der alten Paradiesverheißung jenseits der Zeitlichkeit. Zugleich erlegten die amerikanischen Verfassungsväter dem Staat strenge religiöse Abstinenz auf: Kein Staatskirchentum, keine Kirchensteuer. Das geschah nicht aus revolutionärem Geist, sondern um die Einheit des Kampfes gegen "George the Tyrant" im fernen London vor religiöser Entzweiung zu bewahren. Jeder durfte nach seiner Fasson selig werden: Was in Europa aus Indifferenz kam, war in Amerika Bedingung des inneren Friedens.

Die Väter der amerikanischen Republik wussten, dass sie an Abgründen bauten. Jefferson und Madison taten alles, Religion und Regierung getrennt zu halten. Religion, so Madison, liege "außerhalb der Zuständigkeit guter Regierung". Und: "Die Regierung des Landes hat sich aus allen religiösen Fragen herauszuhalten." Karl Rove jedoch, der Spin- und Zeremonienmeister des Weißen Hauses unter dem 43. Präsidenten, sieht dies offenkundig anders. Und so sahen es auch die meisten Präsidenten, die George W. Bush vorausgingen, eingeschlossen sein Vater, der am 31. Januar 1991, während des damaligen Golfkrieges, die Nation zum Gebet aufrief, gleichermaßen in Kirchen, Moscheen und Synagogen: Ein Volk des Glaubens, "one nation under God". In der tragischen Euphorie des Krieges trifft beides zusammen: das Sündenbekenntnis und die Aussicht auf Erlösung, wie am Vorabend des Jüngsten Gerichts. Die meisten Europäer hingegen erklären schon für moralische Leistung -Gleichgültigkeit und Schwäche - was doch viel eher militärischer Ermüdung zuzuschreiben ist.

Das alltägliche Ideologiedefizit amerikanischer Politik, als "porkbarreling" bekannt, wo alles mit allem verrechenbar ist und wo Mehrheiten heute so und morgen anders sind, steht in dauerhaftem Kontrast zu beidem: zu der religiösen Versuchung der Präsidentenrhetorik und zur ideologischen Aufladung europäischer Politik, wo Partei unausgesprochen zur Quasi-Religion wird. Es handelt sich, bei Licht besehen, um Variationen über dasselbe Thema. Als der Unternehmer Andrew Carnegie einmal Amerika ein christliches Land nannte, fiel ihm der Schriftsteller Mark Twain ins Wort: "Was soll das, Carnegie, das gilt auch für die Hölle . . . nur darauf brauchen wir uns nichts einzubilden."

stuermer
Prof. Dr. Michael Stürmer


Der Beitrag erschien in der WELT. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Axel-Springer-Verlages. http://www.welt.de/data/2003/05/08/88788.html



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