Dr. Mostafa Danesch, promovierter Politologe, geb. 1944 in Iran, lebt und   						arbeitet als Journalist und Filmemacher in Köln. Seine Artikel und Interviews   						mit Politikern wie Ghaddafi, Khomeini oder Arafat erschienen u.a. in   						DER SPIEGEL, "stern" und der FAZ.
  
    
    
    
  
  
   
  
  
    TENDENZEN: Herr Dr. Danesch, in Ihrem Buch "Wer Allahs Wort missbraucht   				- Krisenherd islamische Welt" haben Sie noch vor dem jüngsten Krieg im Irak   				vieles geradezu vorausschauend geschrieben, was neueste Nachrichten bestätigen.   				Sind Sie ein Prophet oder waren die Ereignisse einfach nur eine logische Folge   				der Entwicklung der letzten Jahre?
    DR. DANESCH: Man brauchte kein Prophet zu sein, um die heutigen Ereignisse vorauszusagen.   				Wer Zentralasien, den Mittleren und Nahen Osten kennt, konnte vorhersehen,   				dass demokratische Verhältnisse nicht mit kriegerischen Mitteln herzustellen   				sind. Auch vor Anschlägen wie den Bombenattentaten von Saudi-Arabien in der   				Nacht vom 12. auf den 13. Mai diesen Jahres, bei denen nach offiziellen   				Angaben 34 Menschen ums Leben kamen, darunter viele Amerikaner, habe ich in   				meinem Buch gewarnt, als ich die explosive Situation in Saudi-Arabien schilderte.   				Auch der Krieg gegen den Irak hat die Gefahr durch den fundamentalistischen Terror   				nicht vermindert.
        
      Das Beispiel  Afghanistans nach der Vertreibung der Taliban zeigt, wie illusorisch   				es ist, Demokratie mit kriegerischen Mitteln einführen zu können: Wie konnte man   				glauben, in  einer noch im Stammesdenken verharrenden Gesellschaft durch die   				simple Installierung eines US-freundlichen Präsidenten und eines ebensolchen   				Kabinetts, wie es mit Präsident Karsai und seiner Regierung geschah, Demokratie   				einfach verordnen zu können? Heute sind wir in Afghanistan weit von demokratischen   				Verhältnissen entfernt. 
    TENDENZEN: Die Machtverhältnisse in der Welt werden anscheinend nach dem Ende des so   				genannten "Kalten Krieges" zwischen USA und der inzwischen nicht mehr existierenden   				UdSSR neu geordnet. Ist eine Demokratisierung der Welt nach Art einer "Pax Americana"   				zu erwarten?
    DR. DANESCH: Nach dem Zerfall der Sowjetunion ist nunmehr nur noch eine einzige Weltmacht übrig,   				die in der Tat glaubt, durch reine militärische Übermacht eine neue Weltordnung   				errichten zu können. Dadurch, dass die USA viele der Instrumentarien ignorieren,   				die sich die Weltgemeinschaft bis heute geschaffen hat - die UNO, das Völkerrecht,   				das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, das nicht über US-Bürger urteilen darf -,   				entsteht allerdings eine Weltordnung, in der allein das Recht des Stärkeren gilt.   				Wenn keine Weltorganisation mehr über die Beziehungen zwischen den Völkern wacht,   				besteht die Gefahr, dass die Religion als einziges noch überdauerndes ideologisches   				Gebäude zur letzten Waffe derer wird, die in dieser neuen, einpoligen Weltordnung   				auf der Verliererseite stehen. Dann stünden wir tatsächlich dem befürchteten "Kampf   				der Kulturen" gegenüber. 
    TENDENZEN: In die südirakische Großstadt Basra kehrte nach 23 Jahren im iranischen Exil   				der schiitische Oppositionsführer Ayatollah El Hakim zurück. "Er ist für uns   				der neue Khomeini", sagten sehr viele der über 2000 begeisterten Anhänger.   				Werden die Amerikaner und ihre Verbündeten die Erfahrung des Zauberlehrlings   				wiederholt machen müssen und die Geister, die sie riefen, womöglich nicht mehr   				loswerden können?
    DR. DANESCH: Im Kalten Krieg wurde der Islam als Waffe missbraucht, insbesondere durch die   				USA im Afghanistan-Krieg, um die andere Supermacht Sowjetunion, die in Afghanistan   				eingefallen war, zu destabilisieren und schließlich zu zerschlagen. Ich halte es   				für gut möglich, dass sich im Irak eine ähnliche Entwicklung vollzieht. Die Schiiten   				stellen 60 % der irakischen Bevölkerung. In ihrem Islambild steht der Gedanke des   				Imamats im Mittelpunkt - das heißt, das Primat der Religion und die Einheit von   				religiöser und politischer Herrschaft. Im Irak werden heute mit der Rückkehr der   				religiösen Führung aus dem Exil und dem Wiedererstarken des schiitischen Kults   				machtvolle Kräfte freigesetzt, deren Ziel eine islamische Herrschaft nach iranischem   				Vorbild ist. Einhalt gebieten könnte man solchen Kräften nur mit einem raschen und   				wirklichen Wiederaufbau, mit dem Einkehren stabiler ökonomischer und gesellschaftlicher   				Verhältnisse. Doch wie es heute aussieht, sind die USA kurz- und auch mittelfristig   				nicht in der Lage, dies zu gewährleisten. Damit ist abzusehen, dass es in der einen   				oder anderen Weise zu einer Konfrontation mit diesen fundamentalistischen Kräften   				kommen wird. Auch im Irak ist eine Situation geschaffen worden, deren Konsequenzen   				schwer zu bewältigen sein werden. Trotz der ganz anderen weltpolitischen Lage könnten   				die USA hier durchaus einmal mehr die Erfahrung des sprichwörtlichen Zauberlehrlings   				machen. 
    TENDENZEN: Eben dieser Ayatollah El Hakim sagte bei seiner ersten Ansprache auch den Satz:   				"Ich bin ein Soldat des Islams, dienend dem irakischen Volke". Das hört sich   				beinahe wie eine Drohung an und könnte ein Indiz für eine im Grunde doch religiöse   				Auseinandersetzung mit der christlich-westlichen Welt sein. Stehen wir möglich   				doch am Vorabend religiöser Kriege in der Welt?
    DR. DANESCH: Schon der geistige Vater und Lehrer El Hakims, Ayatollah Khomeini, propagierte   				die Weltherrschaft des Islam, und zwar durchaus nicht durch Missionierung,   				sondern auch mit kriegerischen Mitteln. Wenn sein Schüler El Hakim sich als   				"Soldat des Islam" bezeichnet, so muss man dies durchaus wörtlich nehmen. Die   				Drohung einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Orient und Abendland ist   				nicht von der Hand zu weisen, insbesondere, wenn man auf der anderen Seite hört,   				wie die Bush-Administration ihren Krieg als "Kreuzzug" und "gottgewollt" darstellt.   				Die Gefahr liegt in dieser ideologischen Verhärtung auf beiden Seiten. Einen Ausweg   				könnte nur ein gleichberechtigter Dialog der Völker weisen, der die politischen und   				wirtschaftlichen Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. 
    TENDENZEN: Etwa einer Milliarde Moslems weltweit stehen etwas mehr Christen (mehrheitlich   				römisch-katholisch geprägt) gegenüber. Mit einem gravierenden Unterschied: Das   				Christentum hat in der Position des Papstes eine unumstrittene Führungspersönlichkeit,   				die den Versuch nicht scheut, moralisch-geistige Oberhoheit über die militärischen   				Mächte USA und Großbritannien zu erlangen. Ist der Krieg der Kulturen in Wirklichkeit   				gar ein Krieg der Religionen?
    DR. DANESCH: Hier möchte ich etwas modifizieren. Das Engagement des römisch-katholischen   				Papstes gegen den Krieg im Irak hat zwar seine moralische Autorität innerhalb   				und außerhalb seiner Kirche gestärkt, musste letztlich aber wirkungslos bleiben.   				Auch in der islamischen Welt gibt es nicht-fundamentalistische Kräfte, die auf   				Ausgleich und Dialog setzen. Erst wenn auf beiden Seiten diese moderaten Kräfte   				gestärkt werden und ihre wegweisende Rolle durch die Politik anerkannt wird, kann   				es zu einem Dialog kommen. Wenn aber auf beiden Seiten Fundamentalisten das Bild   				bestimmen - fanatische Islamisten auf der einen und Kreuzzugsideologen auf der   				anderen und beide die absolute Wahrheit für sich reklamieren -, dann sehe ich schon   				die Gefahr, dass ein Krieg der Religionen ausbrechen könnte. 
    TENDENZEN: Sie arbeiten gerade an einem Buchmanuskript zum Thema "Krieg und Demokratie".   				Sind wir hier vielleicht nur Nebenschauplätze? Nach biblischer Überlieferung   				fand der erste Krieg im Himmel statt. Und auch beim Brudermord Kains an Abel   				spielte die Religion eine wichtige Rolle. Sind wir Menschen mit unserem Hang   				zur Religion überhaupt für Demokratie geeignet? Schließen sich, zu Ende gedacht,   				Religion und Demokratie gar aus?
    DR. DANESCH: Dies ist eine sehr philosophische Frage. Ich möchte sie eher auf einer politischen   				Ebene beantworten: Jede der großen Weltreligionen erhebt den Anspruch, die Wahrheit   				für sich gepachtet zu haben. Dies widerspricht natürlich diametral dem demokratischen   				Gedanken, der sich ja gerade über die Achtung des Andersdenkenden und den Pluralismus   				der Meinungen definiert. Solange allerdings die Religion Privatangelegenheit des   				Einzelnen bleibt und - über die moralische Autorität gegenüber ihren Gläubigen hinaus -   				keinen Herrschaftsanspruch aufstellt, brauchen Religion und Demokratie nicht in Konflikt   				zu geraten. Zu einer Gefahr wird die Religion erst dann, wenn sie durch machtpolitische   				Interessen instrumentalisiert wird und mit allen, auch militärischen und terroristischen   				Mitteln, auf der weltlichen Ebene ihren Absolutheitsanspruch erhebt.