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Interviews

HINTERGRUND

Abraham ist nicht für alle derselbe

Von Hans-Peter Raddatz

Nahezu uferlos ist die westliche Literatur über das Verhältnis der Moslems zum Judentum. Dieses ist nach Einschätzung zahlreicher Autoren im laufenden "Dialog mit dem Islam" - insbesondere unter Bemühen der "abrahamitischen Wurzel" - eher von Gemeinsamem als Trennendem gekennzeichnet. In dieser Einschätzung wird einmal mehr die Schwäche des westlichen Dialogs mit dem Islam deutlich, der erhebliche Probleme mit der Anerkennung des islamischen Selbstverständnisses und damit auch mit der Beurteilung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern hat.

Denn für die Moslems ergibt sich bereits aus ihren Glaubenswurzeln ein ernster Gegensatz zu den Juden. Der gläubige Moslem ist auf eine strikte Solidarität zur eigenen Gemeinschaft verpflichtet. Schon die Tradition des Propheten weiß zu berichten, dass dieser als Knabe "vor den Juden behütet" werden musste, und es ist bekannt, dass Mohammeds religiöse Entwicklung ganz entscheidend von einem Antagonismus gegenüber den Juden geprägt wurde.

Ausgehend vom vorislamischen Begriff des "fernen Bezirks", einem immer abstrakter verstandenen Bereich des Heiligen, dessen Grenzen sich mit dem Wachstum der Gemeinschaft ausweiteten, geriet Jerusalem unter einen Herrschaftsanspruch des Islam, dessen Begründung sich graduell vom sakralen in den politischen Sektor verlagerte. Nachdem er Abraham zum Erbauer der Kaaba und dessen Sohn Ismael zum Erzvater der Araber umfunktioniert sowie Jerusalem durch Mekka als geographisches Ziel der Gebetsausrichtung ersetzt hatte, ließ Mohammed im ersten Genozid des Islam die Juden Medinas vernichten und stellte zudem die Behauptung auf, von Jerusalem aus eine Himmelfahrt zu Allah unternommen und mit diesem über die Gestaltung des Gebets verhandelt zu haben.

Mit der Al-Aksa-Moschee, deren Name nichts anderes als "die Entfernte" bedeutet, schließt sich der Kreis von Jerusalem zu den medinensischen Anfängen, von denen die islamische Machtidee ihren Ausgang nahm. Als Siegel auf diesen Anspruch kann der Felsendom gelten, dessen Inschriften sich allerdings eher gegen die Christen als die Juden wenden.

Abraham und Jerusalem, die von westlichen Fürsprechern des Islam zu den gemeinsamen Säulen der drei monotheistischen Religionen hochstilisiert werden, zeigen also bei näherem Hinsehen nur geringe Tragfähigkeit. Hinzu kommt, dass Jerusalem im Gegensatz zum Alten und Neuen Testament, in denen es an 657 beziehungsweise 154 Stellen vorkommt, im Koran kein einziges Mal erwähnt wird. Ebenso spielt Abraham keineswegs die verbindende Rolle, die ihm im so genannten "Trialog" unentwegt angedient wird. Denn anders als in der islamischen Ideologie ist laut Bibel Abrahams Landnahme nicht auf kriegerische Expansion, sondern auf friedliche Sesshaftigkeit gerichtet, zusätzlich akzentuiert durch seine lebenslange Bindung an Sara, jene selbstbewusste Frau, die ihre Schwangerschaft in hohem Alter lachend zur Kenntnis nahm. Die Rollen der Gewalt und der Frau erhalten durch den islamischen Abraham nicht die Impulse, wie sie in der jüdisch-christlichen Entwicklung dann richtungweisend geworden sind, indem man sich dort zwar unangemessen langsam, aber letztlich doch nachweislich der Gewalt gegenüber den Menschen im Allgemeinen und gegenüber der Frau im Besonderen bewusst wurde.


( http://www.welt.de/data/2003/04/28/80420.html )

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