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"Mein Geheimnis gehört mir"

Auf verschlungenen Wegen zu Gott und dem Glauben: Christian Heidrich schreibt die Kulturgeschichte der Konvertiten

Von Martin Ebel

"Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist (Paulus): Jeder, der sich den Lebensgeschichten nähert, die Christian Heidrich in seinem Band sammelt, den Geschichten von Paulus oder Augustinus, Thomas Merton oder Edith Stein, auf seine Weise auch der von Arthur Koestler, erkennt das Entscheidende: Für die Konvertiten gibt es ein Vorher und ein Nachher, ein Leben vor und ein Leben nach der Konversion. Den Moment der Konversion, seine Ursachen und seine Folgen hat bisher niemand untersucht. Bis Heidrich kam und die Kulturgeschichte des Renegaten aufschrieb.

die konvertiertenGoethe, der alte Heide, machte sich über sie lustig. Als in seiner Umgebung eine Reihe von Schriftstellern zum Katholizismus übertraten, schrieb er 1813 das Gedicht "Parabel", in dem er die Konvertiten mit Kindern vergleicht, die, vom "Kling und Klang" der Kirche angezogen, deren Rituale spielerisch nachahmen: als Mummenschanz. Was der Spötter wohl wusste: Meist allerdings ist ein Glaubenswechsel eine ernste Sache. Recht verstanden, bedeutet er in der Regel den radikalen Bruch mit dem Gewesenen und Gewohnten: mit dem bisherigen Denken wie mit der Lebensweise, oft mit dem Milieu, mit Freunden und Familie, verbunden manchmal sogar mit Gefahr für Leib und Leben. Im Spanien der Katholischen Könige waren "Renegaten" des Todes; ein todeswürdiges Verbrechen ist der "Abfall" vom wahren Glauben noch heute in vielen islamischen Ländern. In mancher jüdischen Gemeinde war es Brauch, für Mitglieder, die Christen geworden waren, das Totengebet zu sprechen.

Gewaltig also muss die Kraft sein, die den Glaubenssehnsüchtigen treibt, geradezu unwiderstehlich die Verheißung, die im Neuen Leben liegt. Christian Heidrich, Theologe und Publizist, betrachtet eine Reihe von Bekehrungen unter der biografischen Lupe. Er fragt nach den Motiven und dem Verlauf, nach dem Davor und dem Danach. Als Beispiel dienen ihm berühmte Fälle wie Augustinus oder Paul Claudel, den am Weihnachtsabend 1886 in der Kathedrale Notre-Dame in Paris blitzartig die Glaubensgewissheit überfiel, aber auch weniger bekannte Autoren wie André Frossard (langjähriger Kolumnist des "Figaro") oder Thomas Merton, der in einen Trappistenorden eintrat und mit dem "Berg der sieben Stufen" einen Bestseller über seine spirituelle Entwicklung schrieb.

Konvertiten sind Suchende, die vor ihrer "Erleuchtung" nicht wissen, was sie suchen: soviel verbindet einen Alfred Döblin mit Walker Percy, eine Edith Stein mit Muriel Spark. Die Unzufriedenheit mit einem Leben, das nur aus einer Folge von Bedrängnissen (oder Vergnügungen) besteht, einem Leben, dem jeder tiefere Sinn fehlt, rumort im Untergrund und bricht sich, wenn der entscheidende Auslöser hinzutritt, machtvoll Bahn.
Im Falle der berühmtesten Bekehrung überhaupt, der des Saulus zum Paulus, war dieser Auslöser eine Gotteserscheinung: Das Licht des Himmels, erzählt die Apostelgeschichte, wirft ihn zu Boden und blendet ihn, verwandelt ihn vor allem aber vom Verfolger der jungen Sekte der Christen zu deren einflussreichsten Vertreter. Er schafft die theologischen Voraussetzungen, dass das Christentum die jüdischen Grenzen sprengen und zur Weltreligion werden kann (einer Religion, die, bis sie ihre dominante Stellung erlangt, vor allem auf Konvertiten angewiesen ist).
Solche Erlebnisse überwältigender Gottesgewissheit finden häufig in Kirchen statt; neben Claudel erging es so auch Frossard (in einer kleinen Kapelle in der Rue d'Ulm), Alfred Döblin (Kathedrale von Mende) oder Reinhold Schneider (St. Paul's Cathedral). Häufig wirkt auch Lektüre als Auslöser, natürlich vornehmlich die der Bibel. Der kanonische Konversionsbericht dazu stammt von Augustinus, der, von Zweifeln geplagt, in einem Garten in Mailand eine Kinderstimme sagen hört: "Tolle, lege" - nimm und lies. Bei Edith Stein gibt die Lektüre der Teresa von Avila den Ausschlag, bei Richard Gilman die eines kirchenhistorischen Werkes von Etienne Gilson.

Heidrich liest all diese Konversionsberichte nicht naiv, sondern sozusagen "bibelkritisch", er verkennt ihren propagandistischen Charakter nicht, besonders bei Paulus, dem die Begegnung mit dem leibhaftigen Jesus Christus immer wieder zur Legitimation dient. Vor allem arbeitet er heraus, dass sich in dem Erlebnis selbst meist eine jahrelange Entwicklung konzentriert. Bei manchen Konvertiten bleibt der "Blitz" ganz aus, sie finden ganz allmählich und kontinuierlich ihren Weg zum Glauben.

Auf Differenzierung legt Christian Heidrich überhaupt großen Wert. Um den "Idealtypus" der Bekehrung, den "typischen" Konvertiten ist es ihm nicht zu tun. Der Wert und das Anregungspotenzial seiner Untersuchung liegt gerade darin, jedem Fall seine Eigenart, seine Einzigartigkeit zu belassen - und bei aller Einfühlung in diese Eigenart auch die Grenzen des Verstehbaren zu wahren: "Mein Geheimnis gehört mir", sagte Edith Stein über das, was nicht mehr mitteilbar ist.

Konvertiten unterscheidet nicht nur das, was der radikalen Kehre vorausging, sondern auch, was auf sie folgt. André Frossard ruht in dem neuen Glauben wie in Abrahams Schoß, er erträgt mit seiner Hilfe Gefangenschaft und Todesgefahr, aber auch den Verlust seiner beiden Kinder. Die jüdische Philosophin Simone Weil, die über eine Reihe von "göttlichen Berührungen" zum christlichen Glauben gelangte (die letzte und entscheidende erfuhr sie beim Rezitieren von George Herberts Gedicht "Love") bleibt auch, so formuliert Heidrich, als Mystikerin eine Agnostikerin. Sie wehrt sich gegen die "Anmaßung", Gott aus eigenem Antrieb suchen und finden zu können, und deutet gerade sein Schweigen als seine eigentliche Rede. Glauben bedeutet für sie keine Gewissheit, sondern Fortdauer der Erwartung.

Nicht aus Demut allerdings verzichtet Simone Weil auf jenen Schritt, der die Konversion gewöhnlich formal vollendet, auf die Taufe. Sie möchte sich nicht trennen lassen "von der ungeheuren und unglücklichen Masse der Ungläubigen", die von der Kirche ausgegrenzt werden. Diese Kirche sei nicht wirklich katholisch, allumfassend, sondern totalitär, weil sie vor allem darauf bedacht ist, festzustellen, wer nicht dazu gehört - und darunter ist "so vieles, das ich liebe und nicht aufgeben will, so viele Dinge, die Gott liebt; denn sonst hätten sie kein Dasein."
Gelangt die Konvertitin Simone Weil auf ihren theologischen Gedankengängen in Schwindel erregende Höhen, so fällt der katholische Schriftsteller Reinhold Schneider, dessen Traktate während des Dritten Reiches Hunderttausenden Trost gespendet haben, nach dem Zweiten Weltkrieg in die Tiefen des Glaubenszweifels. "Winter in Wien" ist das Zeugnis einer religiösen Depression, aus der Schneider nicht mehr herausfand und die auf erschütternde Weise zeigt, dass die Wirkung einer Konversion nicht immer von Dauer ist.

Schneider schildert keine neue Kehre, sondern ein "langsames Entgleiten", ausgelöst durch das neue Weltbild der Naturwissenschaften. Was ist der Mensch angesichts des unendlichen, schweigenden Universums? Ausgerechnet diese Frage, die im 17. Jahrhundert den französischen Philosophen Blaise Pascal in jene produktive Verzweiflung versetzte, aus der er sich mit einem Sprung in die Radikalität seiner "Gotteswette" rettete: Diese Frage entzieht im katastrophalen 20. Jahrhundert einem Reinhold Schneider die einmal besessene Gewissheit.
Eine der anschaulichsten Konversions-Schilderungen gilt keinem religiösen, sondern einem politischen Übertritt, bedient sich allerdings desselben Vokabulars. "Das neue Licht scheint von allen Seiten in die Schädelhöhe hereinzudringen; die verwirrende Fülle der Erscheinungen nimmt plötzlich eine fassbare Gestalt an, als hätte ein Zauberstab die verstreuten Mosaikstücke eines Puzzle-Spiels mit einem Schlag zusammengefügt. Von nun an gibt es auf jede Frage eine Antwort; Zweifel und Konflike gehören der qualvollen Vergangenheit an, jener weit zurückliegenden Vergangenheit, als man noch in schmachvoller Unwissenheit in der faden, farblosen Welt der Uneingeweihten gelebt hat. Von jetzt an ist die innere Ruhe und Heiterkeit des Bekehrten durch nichts mehr zu gefährden - höchstens noch durch gelegentliche Anwandlungen der Furcht, er könne den Glauben wieder verlieren und damit alles dessen verlustig gehen, was das Leben allein lebenswert macht, um in die Dunkelheit zurückzustürzen, wo Heulen und Zähneklappern herscht."

So schwärmerisch und mit gezielt verwendeter christlicher Metaphorik beschreibt Arthur Koestler seine Bekehrung zum Kommunismus - im Rückblick der Abrechnungsschrift "Der Gott, der keiner war". Denn Koestler hat, nach jahrelangem unbedingten Engagement für die KPD und die Weltrevolution, sich von seinem neuen Glauben ebenso konsequent wieder abgewandt und eine bestechende Analyse seiner Verführungskraft geliefert.

Entscheidend ist der Anspruch, ein Leben in der Wahrheit zu bieten, und auf alle Fragen eine Antwort, für alle Widersprüche eine Erklärung zu haben. Kommunismus wie Katholizismus verfügen über eine geschlossene Weltanschauung, die dem, der ihr anhängt, eine geistige und emotionale Heimstatt bietet (und die soziale einer verschworenen Gemeinschaft). Der Preis, wie Koestler erkennen muss, ist hoch. Er besteht in der Verleugnung der Realität - Hunger und Terror in der Sowjetunion, ideologische Verhärtung und Verfolgungswahn in der Partei.
Leider ist Koestler das einzige Beispiel einer politischen Bekehrung, dem sich Heidrich eingehender widmet, und das auch nur, um die Parallele zur religiösen Konversion herauszuarbeiten. Den Vorwurf eines allzu engen Blickes auf das behandelte Phänomen kann man ihm - bei aller Vielfalt in den Beispielen - nicht ersparen. Konversion ist für Heidrich offenbar eine Einbahnstraße, sie führt vom Unglauben oder der Gleichgültigkeit (oder vom Protestantismus oder Judentum) immer zur katholischen Kirche. Kein Wort über laue Juden, die zur Orthodoxie "erweckt" wurden, keins über die zahlreichen Fälle bekehrter Muslime oder auch über die durch den Giftgas-Anschlag von Tokio berüchtigte AUM-Sekte (von deren Mitgliedern es Berichte gibt, die den Vergleich lohnten). Und was ist mit Philosophen wie Nietzsche, deren Denkweg mehrere "Kehren" beschreibt, die nicht in das christlich-katholische Raster passen? Fragwürdig ist schließlich, ob man, wie Heidrich es tut, die Konversion immer und uneingeschränkt positiv sehen muss. Seine Gewährsleute, deren autobiografischen Berichten er folgt, haben sie so erlebt, als Sprung aus dem Zweifel in die Gewissheit, von Armut zu Fülle, von Leiden zu Seligkeit.

Nun muss man nicht gleich an die Attentäter von 11. September denken, die ja, nach allem was man weiß, auch Konvertiten waren, um die Ankunft in einer geschlossenen, dogmatischen, ja fundamentalistischen Welt bedenklich und gefährlich zu finden. Es sind nicht die Schlechtesten, die sich - wie André Gide - den Verheißungen des Glaubens verweigert und ein Leben in geistiger Unruhe vorgezogen haben.

Christian Heidrich:
Die Konvertiten. Über religiöse und politische Bekehrungen.
Hanser, München 2002. 381 S., 24,90 E.

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