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Interviews

HINTERGRUND

Islamismus und Arafat

Von Von Hans-Peter Raddatz

Die jüngste Eskalation der Gewalt im Nahen Osten wird von vielen politischen Verantwortlichen in Europa mit zunehmend anti-israelischen Tönen begleitet. Die Berichterstattung vieler Medien, die seit langem auf Seiten der "Sache Palästinas" steht, nimmt zuweilen propagandistische Züge an. Immer mehr erscheint Israel als "Terrorstaat", der eine "Vernichtungsstrategie" betreibe und Unschuldige nicht verschone. Zur Besonnenheit mahnende Analysen, die Todesfälle von Kindern als zynische Propaganda enttarnen, welche von den Palästinensern selbst inszeniert und von Arafat unterstützt wurde, werden beiseite geschoben. Nicht den israelischen, sondern nur den palästinensischen Opfern galt die Aufmerksamkeit.

Um Ostern herum trat diese Entwicklung aus der verbalen in die aktive Handlungsphase. Frankreich mit seinen großen jüdischen und muslimischen Gemeinden schälte sich als idealer Kampfplatz von Stellvertreterkriegen für die Sache Palästinas heraus. Eine Welle konzertierter Gewalt, in der Synagogen und Schulbusse in Flammen aufgingen, überzog das Land. In England wurden Signale gesetzt, indem die ehrwürdige Oxford-Universität den New Yorker Scharfmacher J. Massad zu einer Vorlesung über "Zionismus und Jüdische Vorherrschaft" lud, in der Israel als "rassistischer Staat" dargestellt wurde, der "kein Recht auf Existenz" habe.

Was Deutschland betrifft, so gibt es hier eine lange Tradition der Solidarität mit der Sache Palästinas, in der sich nicht nur die Vermischung von Anti-Zionismus und Kapitalismus-Kritik, sondern auch ein gestörtes Verhältnis zur Gewalt zeigt. So ist bis heute weit gehend unreflektiert geblieben, dass die deutschen Terroristen von der "Rote Armee Fraktion" enge Verbindungen zur Terrorszene der PLO unterhielten und dass RAF-Sympathisanten in den 70er und 80er Jahren für die PLO auf die Straße gingen. Auch ist in Deutschland kaum bekannt, dass Jassir Arafat mit der im Jahre 1964 gegründeten PLO zwei Jahrzehnte später - mehrheitlich aus Schutzgelderpressung sowie Drogen- und Waffenhandel - ein Vermögen "erwirtschaftete", das Kapitalerträge von rund 500 Millionen US-Dollar abwarf, also bei 5 Milliarden Dollar lag. Der Umsatz dieses Konzerns politisierter Kriminalität wurde von der renommierten Rand-Corporation zum Ende der 80er Jahre auf 6 Milliarden US-Dollar geschätzt, zum Ende der 90er Jahre auf 10 Milliarden.
In den stehenden Ovationen, die die UNO-Delegierten dem PLO-Führer schon 1974 - in Ansehen zahlreicher Attentate und Flugzeugentführungen - zollten, spiegelten sich sowohl pragmatischer "Respekt" vor einer Organisation wachsenden Einflusses, als auch das schlechte Gewissen, schon bei der Gründung Israels Konzepte der Friedenssicherung versäumt zu haben. Hier war eine Kraft herangereift, die von der überaus komplexen Spannung zwischen Islam und westlicher Welt in zweierlei Hinsicht profitieren konnte. Zum einen spielte Arafat die westlichen Politiker und Kirchenleute - er ist eine der am häufigsten empfangenen Persönlichkeiten im Vatikan - gegeneinander aus, indem er sie mit der latenten Terrordrohung in einen surrealen Wettbewerb um "Toleranz und Frieden" zwang. Zum anderen bot sich ihm in Gestalt der islamischen Gewaltregimes ein williges Spielmaterial, das sich Arafats ständigen Finanzforderungen beugte, weil die "Sache Palästinas" nahezu unbeschränkten Propagandaraum eröffnete.

Die PLO konnte sich zu einem kriminellen Politkonzern entwickeln, weil sie wichtigen Zwecken dieser beider Machtebenen dient. Je klarer sich die militärische Überlegenheit Israels zeigte, desto ungenierter konnte Arafat mit der ideologischen Zuneigung des Westens und dessen Faszination durch die Gewalt kokettieren, desto sicherer waren ihm auch die Sympathien der islamischen Despoten. Denn diese konnten ihre Probleme an der eigenen Heimatfront umso komfortabler lösen, je weiter sich die Lösung der Palästinafrage in eine diffuse Zukunft verschob: Was auch immer den Mächtigen des Islam vorgeworfen wurde - Schuld waren jedes Mal der israelische "Feind" oder seine "Agenten", die es zu bekämpfen galt und deren Existenz die Entwicklung des eigenen Landes angeblich behinderte.

Eine möglichst menschenunwürdige Existenzform der Palästinenser ist also im Sinne der Mächtigen. Der PLO-Terror hat sich von Beginn an auch nach innen gerichtet, gegen die Entwicklung politisch-rechtsstaatlicher Strukturen und damit gegen jeden, der "Säkularismus und Demokratie" (die nominellen Gründungsziele der Organisation) anstrebte. Zwischen 1965 und 1990 hat dieser gegen die eigenen Leute gerichtete Terror, an dem natürlich auch Abspaltungen wie Hamas und Dschihad teilnahmen, etwa 35.000 Palästinenser das Leben gekostet.

Obwohl all dies in Deutschland ignoriert worden ist, kam es hier bisher noch nicht zu jenen Ausbrüchen des unverhüllten Antisemitismus, wie sie nun in Frankreich und England erkennbar geworden sind. Gleichwohl: entgegen bestehenden Verträgen werden Waffenlieferungen an Israel blockiert, und der FDP-Politiker Jürgen Möllemann, nebenbei Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, hat im Nahost-Blatt Sharq al-Ausat am 14. April erklärt, Israel verübe Staatsterror gegen die Palästinenser und er empfehle, alle wirtschaftliche und militärische Unterstützung einzustellen.

Zu dieser unreflektiert proislamischen Haltung passt, dass seit dem 11. September der "Zentralrat der Muslime" in der Öffentlichkeit als allein authentische Repräsentation des Islam in Deutschland gilt. Dabei ist diese Organisation bislang den Beweis schuldig geblieben, dass sie mehr als 2 Prozent der hier lebenden Muslime vertritt und keine Kontakte zu jenen radikalen Kräften unterhält, welche auf die enormen Finanzmittel der Islamische Weltliga aus dem orthodoxen Petro-Islam zurückgreifen und mit der "Islamischen Legion" in Verbindung stehen. Hierbei handelt es sich um das globale Terrornetz, das sich als neue Gesamtheit islamistischer Organisationen um den Globus legt - mit Deutschland als bevorzugtem Raum der Terror-Vorbereitung.

Die Al Kaida des Osama Bin Laden, die nach wie vor in aller Munde ist, bildet hierbei lediglich ein geeignetes Objekt öffentlicher Ablenkung, das den Blick auf das eigentliche Problem versperrt: ein Netz islamischer Aktivisten, dessen hocheffiziente und jederzeit an jedem Ort aktivierbare Teilnehmerzahl von Experten auf mindestens 200.000 geschätzt wird - als zwangläufiges, hartnäckig verharmlostes Ergebnis von inzwischen 20-jähriger Ausbildungsarbeit in den Terrorstaaten. Der Islam, der laut westlichem Proislamismus "tolerant und vom Islamismus zu trennen" ist, entwickelt sich zum globalen Problem, indem er im Begriff ist, der wirtschaftlichen Globalisierung nun eine terrorfähige Substruktur einzuweben. Wer jetzt nicht bereit ist, in die deutsche Verantwortung für Israel einzutreten, enthüllt ein halbes Jahrhundert intensiver Schulddiskussion als leeres Gerede, das schon unter der ersten ernsthaften Belastungsprobe versagt.

Hans-Peter Raddatz ist Orientalist und Volkswirt. Er ist Ko-Autor der "Encyclopaedia of Islam". Zuletzt erschien sein Buch "Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der liberalen Fortschrittsgesellschaft" (Herbig)

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