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Interviews

Zum Nachdenken

Claus Jacobi, Berlin

Stuermer

Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung. Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.










Des Narren Leid

"Wer unbeneidet wandelt, ist nicht beneidenswert." Aischylos

Von Claus Jacobi, Hamburg

Edward Kennedy, Bruder des ermordeten Präsidenten, war noch ein junger Bursche, als er in den Wahlkampf zog, um Senator von Massachussetts zu werden. Auf einer Versammlung fragte ihn ein Arbeiter, ob es stimme, dass er noch nie auch nur einen Tag lang gearbeitet habe. Kennedy überlegte einen Moment und antwortete dann mit Ja. "Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Sir", sagte da der Mann, "Sie haben nichts versäumt."

Basis des harmlosen Dialogs zwischen dem Millionärssohn und Arbeiter war ein amerikanisches Phänomen: In der vielleicht materialistischsten Gesellschaft des Globus existiert weniger Neid als in anderen Völkern. Das kann uns Deutschen niemand nachsagen. Rollt ein Rolls vorbei, hofft der Amerikaner, im nächsten Jahr habe er auch so einen, der Deutsche, im nächsten Jahr werde der Besitzer pleite sein.

Neid ist eine der ältesten, weitest verbreiteten und unangenehmsten Eigenschaften des Zweibeiners. Große Geister haben sich den Kopf über sein Wesen zerbrochen. Für Immanuel Kant war er ein "scheußliches Laster", für Francoise de la Rochefoucauld "unversöhnlicher als Hass". Er verzehre "die Seele, wie der Rost das Eisen", meinte Basilius der Große.

Auf das, was die Oberen lieben, sind die Untertanen versessen, sagen die Chinesen. Die Neider sterben, niemals der Neid, wissen die Farnzosen. Das deutsche Sprichwort reimt den Neid auf Leid. Neid ist des Narren Leid. Wer neidet, der Leidet. Und umgekehrt: Leid ist ohne Neid.

Fatale politische Wirkungen des Neides sind den Menschen seit Jahrhunderten vertraut. "Erzeugt doch der Neid den Ursprung des Bürgerzwistes" heißt es bei Demokrit. Und Shakespeare warnte:
"Wenn Neid erzeugt gehässige Irrung,
da kommt der Umsturz, da beginnt Verwirrung."

Den Zustand haben die Deutschen Gott sei Dank noch nicht erreicht, aber scheinen sich ihm zu nähern. Links, wo das Herz schlägt, wird zur Zeit mancher Neid geschürt. Denn was die Gier für den Kapitalismus, ist der Neid für den Sozialismus: nie versiegende Schubkraft.

Appelle an ihn werden dabei schamvoll verhüllt. Der Ruf nach "mehr sozialer Gerechtigkeit" dient vermutlich diesem Zweck. Umverteilung ist das Ziel, man will jenen ans Leder, die mehr haben als die Mehrheit, erhofft sich davon die Mehrheit der Wähler - und spricht es nicht so aus.

Das ist in anderen Staaten nicht anders. "Neid ist die Mutter der Demokratie", erkannte der Spanier Miguel di Unamuno. Wir Deutschen aber haben es geschafft, den Neid zur Tugend zu erheben. "Gerechtigkeit entsprngt dem neide", notierte der ehemalige Außenminister Walter Rathenau: "Denn ihr oberster Satz ist: Allen das Gleiche."

Wir Deutsche seien auf so vielen Gebieten so tüchtig, meinte Edward Kennedy zu mir, als er in den sechziger Jahren Deutschland besuchte. Zuweilen auch schon mal auf einem Gebiet zu viel.

Claus Jacobi

Buchtipp:

Joachim Fest

Claus Jacobi
Von Glück, Gespenstern und dem Geheimnis des Lebens
Denkanstösse über den Tag hinaus

208 Seiten, gebunden
Goldmann Taschenbuch

29,80 DM

ISBN : 3-7766-2074-9

Eine Auswahl von 78 Kolumnen, die Claus Jacobi in den letzten Jahren veröffentlicht hat, ist jetzt zum ersten Mal als unter Von Glück, Gespenstern und dem Gehiemnis des Lebens erschienen. Es sind Glanzstücke des deutschen Journalismus. Jacobi liebt Geschichte und Geschichten. "Political correctness" läßt ihn "kalt wie der Kuß einer Tante". Und er ist überzeugt: "Wenn Heuchelei dick machen würde, bräuchten unsere Parlamente Flügeltüren".

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