Tendenzen Gespräch
  
  Peter Scholl-Latour, Paris 
  
  
  
  
  
  Peter               Scholl-Latour wurde 1924 in Bochum geboren. Neben der Promotion an der Sorbonne               und dem Diplom des Institut National des Sciences Politiques in Paris               erwarb er an der Libanesischen Universität Beirut ein Diplom               für arabische und islamische Studien. Seit 1950 arbeitet er als               Journalist, u. a. viele Jahre als Korrespondent in Afrika und Indochina,               als Studioleiter in Paris, als Fernsehdirektor des WDR, als Herausgeber               des "Stern". Zu seinen größten Erfolgen als Buchautor               zählen die Bestseller "Der Tod im Reisfeld" (1980),               "Allah ist mit den Standhaften" (1983), "Mord am großen               Fluß" (1986), "Mit Frankreich leben" (1988),               "Der Wahn vom Himmlischen Frieden" (1990), "Das Schwert               des Islam" (1990), "Den Gottlosen die Hölle" (1991),               "Unter Kreuz und Knute" (1992), "Eine Welt in Auflösung"               (1993), "Im Fadenkreuz der Mächte" (1994), "Schlaglichter               der Weltpolitik" (1995), "Das Schlachtfeld der Zukunft"               (1996), "Lügen im Heiligen Land" (1998), "Allahs               Schatten über Atatürk" (1999). Seine letzten Bücher               "Afrikanische Totenklage" (2001) und "Der Fluch des               neuen Jahrtausends - Eine Bilanz" (2002) stehen seit ihren Erscheinen               auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
 
  
  
    
"Es ist ungeheuerlich, dass in Saudi-Arabien           eine Bibel oder ein Kreuz verboten sind!" 
  
  
  Dr.Peter Scholl-Latour,           77, Journalist, Schriftsteller, Filmautor und Weltreisender über           die veränderte Welt nach dem 11. September 2001 und die religiöse           Komponente bei den derzeitigen Konflikten
  
  
  
  
   
     Prof. Dr. Peter Scholl-Latour               im Gespräch mit A.Schosch (Foto: Werner Renz, Stimme der Hoffnung,               Darmstadt)
   
  
  
    TENDENZEN: Herr Dr. Scholl-Latour, in Ihrem neu erschienen Buch "Afrikanische           Totenklage" stellen Sie als einer Art Fazit fest, daß angesichts           der augenblicklichen katastrophalen Situation in Afrika, die ehemalige           europäische Kolonisation rückblickend als eine "relativ           humane Form" der Fremdherrschaft erscheine. Wie meinen Sie das?
    Dr.Scholl-Latour: Diese Einschätzung können Sie nur vor dem Hintergrund der derzeitigen           katastrophalen Situation nachvollziehen! Und da geben Sie mir sicherlich           Recht, wenn ich rückblickend die ehemalige europäische Kolonisation           als eine "relativ humane Form" der Fremdherrschaft bezeichne.           Damals wurden Infrastrukturen geschaffen, es gab Schulen und Hospitäler.           Heute sind die meisten dieser zivilisatorischen Errungenschaften zerstört.           Die heutigen, an gnadenloser Profitmaximierung und Rohstoffspekulation           orientierten Industrienationen hingegen ignorieren bzw. beschleunigen           den unheilvollen Kreislauf aus Zerstörung und Chaos.
    TENDENZEN: Als wir vor Jahren das erste Mal miteinander sprachen, zitierten Sie den           französischen Schriftsteller und unter de Gaulle zeitweise Kulturminister           A. Malraux, der gesagt hat: "Das 21. Jahrhundert wird entweder religiös           sein oder überhaupt nicht sein". Ist der Terrorakt am 11. September           2001 hierfür ein Fanal? 
    Dr.Scholl-Latour: Zweifellos           betrachten sich die Terroristen, die - ihrer fanatischen Überzeugung           gemäß - "auf dem Weg Allahs streiten", im Zustand           des "Heiligen Krieges". Doch auch für orientalische Verhältnisse,           wo man seit langem in der Zwangsvorstellung des Komplotts, des "mu'amarat"           lebt, ist die Hinwendung zur nihilistisch anmutenden, aber religiös           motivierten Gewalt ein relativ originäres zutiefst erschreckendes           Phänomen. Um einen historischen Vorläufer von Osama bin Laden           zu entdecken, der sich als Rächer des Islam, als Tugendwächter           auch der muslimischen Potentaten aufspielt, müssen wir wohl auf das           Mittelalter zurückgreifen. Da bietet sich in der Figur des "Alten           vom Berge" eine erstaunliche Parallele. 
      Im zwölften Jahrhundert sammelte dieser "Scheikh el Djebl"           - erst in Persien, dann in Syrien - seine Selbstmord-Kandidaten, die "Haschischin",           und schickte sie nicht nur zur Ermordung der Kreuzritter aus, mit denen           die heutigen Araber die Präsenz Amerikas und Israels im Orient oft           vergleichen, sondern auch gegen jene muslimischen Herrscher, die angeblich           vom rechten Weg der Religion abgewichen waren. Der damalige Abbassiden-Kalif           von Bagdad und dessen Rivale, der Fatimiden-Kalif von Kairo, fielen den           Mordanschlägen dieser jungen Fanatiker zum Opfer, denen angeblich           durch Haschisch-Genuss die Vision des Paradieses vorgegaukelt wurde. 
      Unter den christlichen Feinden des Islam wurden der fränkische König           Konrad von Jerusalem und Prinz Raimund von Antiochia ermordet. Selbst           der sieghafte Sultan Saladin entging mit knapper Not dem Anschlag dieses           Mörder-Ordens. In den Helden-Liedern der "Assassinen" hieß           es damals: "Ein einziger Krieger zu Fuß wird zum Entsetzen           des Königs, auch wenn dieser über tausend bewaffnete Reiter           verfügt." 
      Bei der Bekämpfung des "fundamentalistischen" Terrorismus           fällt es den westlichen Geheimdiensten schwer, sich in die Mentalität           dieser "Schuhada" zu versetzten. Vor allem die werbende Kraft           des zerstörerischen Opfertodes auf Nachahmer-Täter wird unterschätzt.           "Sanguis martyrum semen Christianorum - Das Blut der Märtyrer           ist der Samen der Christenheit", hieß es einst im Abendland,           als dort noch die innige Religiosität vorhanden war.
    TENDENZEN: Und im Westen scheint diese "innige Religiosität" verloren           gegangen sein. Auf der Europa-Synode 1999 in Rom berichtete der türkische           Bischof Bernardini über die Offenheit, mit der sich kurz zuvor der           Imam von Izmir an die christlichen Teilnehmer eines Dialogtreffens gewandt           hatte: "Dank eurer demokratischen Gesetze werden wir euch überwältigen,           dank eurer religiösen Gesetze werden wir euch beherrschen."           (Zitiert nach Gernot Facius, DIE WELT vom 06.10.2001 und Hans-Peter Raddatz:           "Von Gott zu Allah", Seite 349, Herbig Verlag, München,           2001). Ist es eine unbedeutende Einzelstimme oder steckt mehr dahinter?           Hat uns womöglich unsere Naivität den Blick für das latente           islamische Sendungsbewußtsein - mitunter auch unter Einbeziehung           der Terrorgewalt - getrübt? Inwiefern tragen wir im Westen dazu bei,           daß uns Moslems als "Ungläubige" sehen, "sehen           müssen"?
    Dr.Scholl-Latour:Nein,           so pauschal würde ich es nicht formulieren. Sie dürfen nicht           Deutschland mit Amerika gleichsetzen. Ich habe diese Abgeordneten gesehen,           die da gesungen haben: ‚God bless America'... Es ist ja noch ein           tief religiöses Land. Bei uns weigern sich ja schon die meisten Minister,           das Wort "Gott" in den Mund zu nehmen, wenn sie ihren Eid leisten.           Dieses Ruhen in einer gewissen Religiosität gibt natürlich Amerika           eine Kraft, die die Europäer nicht mehr haben. Wir wären eher           in der Lage, mit dem Islam, der ja nun mal unser Nachbar ist, zu diskutieren,           wenn wir selber noch religiöse Überzeugungen hätten, nämlich           dann könnten wir auf dem gleichen Niveau sprechen. Aber ein Mensch,           der auf die Religion verzichtet hat, der ein Atheist ist, ist für           einen Moslem ein Tier. Und es ist wohl wahr: Wir sind schwächer als           die Muslime, weil wir nicht mehr glauben.
    TENDENZEN: Ein ganzes Heer von "Bedenkenträgern" rumpfen ob dieser           Ihrer Sätze die Nase und empfehlen Ihnen den Begriff "political           correctness" neu buchstabieren zu lernen.
    Dr.Scholl-Latour: Na und? Sollen sie doch! Ich sehe auch keinen Grund, warum sich Christen           wegen der Kreuzzüge entschuldigen sollen. Unsinn! Die Eroberungen           muslimischer Mächte haben im Mittelalter bis an die Loire geführt           und später im Osmanischen Reich bis Wien. Es gibt keinen Grund für           Christen, Abbitte zu leisten. Ich halte es für eine Ungeheuerlichkeit,           dass es in Saudi-Arabien verboten ist, eine Bibel oder ein Kreuz einzuführen;           dass ein Priester, der in einem Haus eine Messe für die philippinischen           Hausangestellten liest, mit Gefängnis oder gar mit dem Tod bedroht           ist. Das sollten wir uns nicht gefallen lassen.
   
 
  
  
 
Buchtipp:
 
 
  
  
    Afrikanische           Totenklage
    Ob im Kongo,           dem Schwerpunkt dieser Berichterstattung, ob im Sudan, in Angola, Nigeria           oder an der Elfenbeinküste - überall bietet sich Peter Scholl-Latour           nahezu dasselbe Bild: Krieg, Gewalt, Barbarei und Hunger zerstören           Afrika und seine Menschen. Selbst jene Regionen, die zeitweise als relativ           friedlich galten, scheinen in diesen tödlichen Sog unwiderruflich mit h
    ineingezogen zu werden. In weiten Teilen herrschen Bürgerkriege           und Stammesfehden, Hungersnöte und Seuchen, ein selbstherrlicher           Diktator löst im Kampf um Macht und Bereicherung den nächsten           ab.
    Peter Scholl-Latour geht den           Ursachen auf den Grund. Er beschreibt die sozialen und kulturellen Hintergründe,           die ein friedliches Leben auf so fatale Weise erschweren, und er nennt           die Verantwortlichen: vor allem die westlichen Industrienationen. Er entlarvt           Hilflosigkeit und Desinteresse einerseits sowie skrupellose Ausbeutung           der wertvollen Rohstoffe andererseits. Klar wird: Heute, in der postkolonialen           Zeit, sind es die gewaltigen (überwiegend mit amerikanischem Kapital           finanzierten) Konsortien sowie die Mineral- und Erdölgesellschaften,           die das absolute Sagen haben. 
    Peter Scholl-Latour, der einst           das letzte Gespräch mit dem ermordeten kongolesischen Nationalhelden           Lumumba führte sowie dem späteren Staatschef Laurent Kabila           bereits 1964 begegnete, kennt den afrikanischen Kontinent seit vielen           Jahrzehnten. In seiner "Totenklage" vergleicht der renommierte           Journalist die damalige mit der heutigen Situation, beschreibt seine Eindrücke           und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, die ebenso wie er auf viele           Jahre Erfahrung mit Afrika zurückblicken. Scholl-Latours "Totenklage"           ist zugleich schonungslose Dokumentation und engagiertes Plädoyer           gegen die Gleichgültigkeit der reichen Welt. 
    
Peter Scholl-Latour 
      Afrikanische Totenklage
      Der Ausverkauf des Schwarzen Kontinents
  
      Gebundenes Buch, 480 Seiten, 29 Abbildungen, 13,5 x 21,5 cm
      16 Seiten farbiger Bildteil
  € 24,00 [D]
      C. Bertelsmann Verlag, München, 2001
      ISBN: 3-570-00544-5
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
      
    
     
  
    
  
    Der           Fluch des neuen Jahrtausends
    Als           Peter Scholl-Latour in einer Kolumne den "Steinzeit-Islam" der           Taliban anklagte und die CIA beschuldigte, diesen menschenverachtenden           "Horden" die Herrschaft über Afghanistan zugesprochen zu           haben, schrieb man den 4. Juli 2000. Aus heutiger Sicht liest sich nicht           nur dieser Artikel des weltbekannten Journalisten geradezu visionär.           Scholl-Latour, der nach dem Anschlag am 11. September 2001 wieder einmal           zu einem der begehrtesten Gesprächspartner nicht nur der deutschen           Medien avancierte, warnt aus seiner intimen Kenntnis des Islam bereits           seit vielen Jahren davor, dass die "Angst vor der moslemischen Kultur           übertrieben und gefährlich" und dass auch der Westen vor           Gewaltexzessen nicht gefeit sei. Im Gegenteil, speziell die USA würden           mit ihrer kurzsichtigen Politik im Stile eines Wildwest-Kapitalismus "bluttriefenden           Heilslehren" Vorschub leisten. 
    Die Themen seiner hier versammelten           Beiträge reichen von der Globalisierung des Terrors, von den Krisenherden           in Asien und Afrika über den "modernen Indianerkrieg" im           Kosovo bis zu "Putin dem Großen". Dabei schreibt Scholl-Latour           nie aus der Abgeschiedenheit der Redaktionsstube, er berichtet vor Ort           aus den zerstörten Kriegsstädten des Balkans und aus den Bergen           Afghanistans. Wohlfeile Politikerreden entlarvt er als schamlose Heuchelei,           die von einer Globalisierung politischer Kultur weit entfernt ist. Sein           immenses Wissen verbindet er mit exakter Recherche und einem geradezu           prophetischen Urteil. 
    
Peter Scholl-Latour 
      Der Fluch des neuen Jahrtausends
      Eine Bilanz
  
      Gebundenes Buch, 352 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
  € 22,00 [D]
      C. Bertelsmann Verlag, München, 2002
      ISBN: 3-570-00537-2