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Interviews

Zum Nachdenken

Claus Jacobi, Berlin

Stuermer

Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung. Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.










Es irrt der Mensch

Von Claus Jacobi, Hamburg


"Irrtümer haben ihren Wert nur hier und da. Nicht jeder, der nach Indien fährt, entdeckt Amerika."      Erich Kästner


Joseph Kardinal Ratzinger hat anlässlich der Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation korrigierend angemerkt, dass "im Kirchenstaat nie Hexen verbrannt wurden".

"Hexenverbrennung ist ein nordisches Phänomen", sagte er, "dass in Spanien, im südlichen Italien und im Kirchenstaat [gemeint ist hier der Vatikan-Staat] keinen Raum fand."

Wussten Sie das? Ich als Nordlicht glaubte immer, die Unsitte sei auch südlich von Alpen und Pyrenäen praktiziert worden.

"Es irrt der Mensch, so lang er strebt", tröstet der Geheimrat aus Weimar. Wir sind von Irrtümern umzingelt. Prüft man erst einmal nach, was man für selbstverständlich hielt, gehen oft die schönsten Vorurteile zum Teufel. Vieles war oder ist ganz anders, als man dachte oder denkt.

Glühwürmchen etwa sind keine Würmer sondern Käfer, Blindschleichen keine Schlangen, sondern Eidechsen (mit verkümmerten Füßen), Koalabären keine Bären, sondern Beuteltiere, so lehren es uns die Professoren Walter Krämer und Götz Trenkler in ihrem großartigen Buch "Lexikon der populären Irrtümer".

Alkohol wärmt. Die Krebsgefahr nimmt zu. Marco Polo war in China und Autobahnen hat Hitler gebaut. Falsch gedacht! Unser alltägliches Wissen ist reich an solchen Irrtümern und Denkfehler, die wir über die Geschichte, Politik, Wissenschaft, Sport und Medizin haben. Die bekanntesten von ihnen können in diesem Buch nachgelesen und korigiert werden. Ein bildendes Lesevergnügen!

Erschienen im Eichborn Verlag, Frankfurt, DM 29,80

 

Und damit nicht genug: Hitler hat die Autobahnen nicht erfunden, Nachtigallen singen nicht nur nachts und die größten Sklaven-Händler und -Besitzer mit den meisten Todesopfern aller Zeiten waren nicht die Europäer sondern die Araber.

"Man erkennt den Irrtum daran, dass alle Welt ihn teilt", seufzte Jean Giraudoux. In Wirklichkeit können Diamanten verbrennen. In Afrika existieren 13 Quadratkilometer Gletscher. Und Buffalo-Bill hat vermutlich nie einen Büffel gesehen, weil in den USA nur Bison lebten, die keine Büffel sind (Wilhelm Eigeners "Tierlexikon").

"Play it again, Sam", gilt als berühmtester Satz von Humphrey Bogart zu Ingrid Bergman in dem Film "Casablanca". Er ist nie gefallen. Tatsächlich sagte Bogart zu dem Pianisten: "If she can stand it I can. Play it!" ("Oxford Dictionary of Quotations").

In der Geschichte geht es nicht anders zu. "Alle historischen Bücher, die keine Lügen enthalten, sind schrecklich langweilig", stellte Anatole France fest.

Gerhard Prause berichtet aus "Niemand hat Kolumbus ausgelacht", das die Bastille nie erstürmt wurde, Martin Luther seine 95 Thesen nie an die Schloßkirche zu Wittenberg anschlug, Galileo Galilei nie vor Gericht erklärte: "Und sie bewegt sich doch."

Im "Treppenwitz der Weltgeschichte" haben Williams Lewis Hertslet und Hans F. Helmolt nachgezeichnet, wie Legenden, Anekdoten und Erfindungen die historische Wahrheit durch Jahrtausende überwucherten und teil bis zur Unkenntlichkeit, teils bis zur Kenntnlichkeit entstellen.

Der Trojanische Krieg dauerte nicht zehn Jahre, wie Homer behauptete, sondern höchstens einen Monat! Die Heiligen Drei Könige waren keine Könige. Tizian malte Karl V. in einer Mönchskutte, die der Kaiser niemals trug.

32 Jahre vor Winston Churchill hat Belgiens deutschblütige Königin Elisabeth beim Einmarsch der Deutschen 1914 das Wort vom "Eisernen Vorhang" geprägt. Laut Georg Büchmanns "Geflügelte Worte" sagte sie: "Zwischen diesen Leuten und mir ist für immer ein eiserner Vorhang niedergegangen".

Buchtipp:

Joachim Fest

Claus Jacobi
Von Glück, Gespenstern und dem Geheimnis des Lebens
Denkanstösse über den Tag hinaus

208 Seiten, gebunden
Goldmann Taschenbuch

29,80 DM

ISBN : 3-7766-2074-9

Eine Auswahl von 78 Kolumnen, die Claus Jacobi in den letzten Jahren veröffentlicht hat, ist jetzt zum ersten Mal als unter Von Glück, Gespenstern und dem Gehiemnis des Lebens erschienen. Es sind Glanzstücke des deutschen Journalismus. Jacobi liebt Geschichte und Geschichten. "Political correctness" läßt ihn "kalt wie der Kuß einer Tante". Und er ist überzeugt: "Wenn Heuchelei dick machen würde, bräuchten unsere Parlamente Flügeltüren".

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