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Interviews

HINTERGRUND

Festival des Glaubens als Faschingszug

So schlimm wie in den letzten Tagen Martin Luthers in Wittenberg war es beim Kirchentag in Frankfurt nicht. Den Reformator brachte die moralische Heuchelei seiner Umgebung so sehr in Zorn, dass er äußerte, die Hölle sei leer geworden, weil sich alle Teufel in Wittenberg versammelt hätten.

Für Blödsinn, auch nicht den hirnverbrannten, kommt man/frau nicht in die Hölle. Aber die Gewaltigen des Evangelischen Kirchentags sollten auch nicht vergessen, dass Gott sich nicht spotten lässt: Irgendwie hat man den Eindruck, dass das Festival des Glaubens mit einem Faschingszug verwechselt wird, was schon durch die "Super-Rio-Gipfelkreuze" sichtbar wurde, die als zwölf riesengroß aufgeblasene Gummipuppen die gesuchte Komik ihrer Botschaft symbolisierten.

Das Auffinden von Abwegen war an diesen Tagen in Frankfurt hoch im Kurs, was schon mit der Liturgie des Abendmahls begann. Der Kirchentagspräsident, ein besonders fortschrittlicher Daimler-Benz-Manager, wollte den Jahrtausende alten Mythos samt seinen Einsetzungsworten ("das ist mein Leib - das ist mein Blut") ändern, das Abendmahl zu einem "Sättigungsmahl" mit neuer Formel ("mein Leben für Euch") wandeln. "Wir wollen doch nur verständlich sein", jammerten die Unverständlichen, als das auf Protest stieß.

Politischer Gewinner des Kirchentags war die PDS. Am Wochenende des 17. Juni wurde Gregor Gysi begeistert gefeiert, als "Heide", wie er ach so kokett betonte. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, deren Stand auf dem Kirchentag 1987 und 1989 wegen ihres Einsatzes gegen Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Ländern sogar gewalttätigen Attacken von Linksextremisten ausgesetzt war, durfte immerhin in irgendeiner Nische einen kleinen Stand unterhalten.

Zum Thema Einwanderung machten die politisch Verantwortlichen schon im Titel deutlich, dass Widerspruch unerwünscht war: "Bitte einwandern!", wobei man sicherheitshalber nur Einwanderungs-Enthusiasten eingeladen hatte. Die Union war durch Rita Süßmuth vertreten, so dass die Anhänger der Schaum- und Häschensprache unter sich bleiben konnten.

Eine inhaltliche Kontroverse gab es allerdings beim Thema Gentechnik, wobei man dem NRW-Ministerpräsidenten Clement Achtung für seine Zivilcourage zollen muss, auch wenn man seine Position nicht in allen Punkten teilen will. Dass es der Kirchentag schaffte, sich tagelang über mangelnden Embryonenschutz zu entrüsten und gleichzeitig das Thema Massenabtreibung weitgehend auszuklammern, verstärkte den Modergeruch politischer Korrektheit, der in diesen Tagen über Frankfurt lag. 30 Veranstaltungen befassten sich mit der "schwul-lesbischen Bewegung in der Kirche". Dazu noch die Verlautbarungen des "schwul-lesbischen Pfarrkonvents in der EKHN" (evangelische Kirche in Hessen und Nassau) zu lesen und zu fragen, was studierte Menschen des 21. Jahrhunderts zu derartigen Exzitationen bringen kann, ist eins.

Je nach eigenem Geschmack mag man andere Programmteile bewerten, welche von Repräsentanten der Esoterik, einem Astrologen und Tarot-Kartenleger sowie einer Schamanin, buddhistischen Thaimönchen, Mystikexperten und sonstigen Heilsbringern angeboten wurden. Markt der Möglichkeiten oder Wühltisch im religiösen Schlussverkauf?

Katholiken ist über dieses protestantische Happening Schadenfreude nicht erlaubt: Schließlich hat doch der Hamburger Katholikentag vom Juni 1998 zahlreiche Fragwürdigkeiten der Frankfurter Veranstaltung vorgemacht. In beiden Konfessionen gehört immer mehr eine bestimmte Personen-Gruppe zu den Programm-Machern solcher Großereignisse. "Seichter Schwachsinn", donnerte damals der katholische Reformator Johannes Dyba und ließ in seinem Bistum auch keine Kollekte für die Massenveranstaltung einsammeln.

War das alles? Nein, ausdrücklich nicht. Es soll auch großartige religiöse Veranstaltungen und Treffen in Frankfurt gegeben haben, die für alle Teilnehmer ein Gewinn waren. Und man tut denen, die dort mitfeierten, mit einem wütenden Kommentar wie diesem vermutlich Unrecht. Aber nach Martin Luther schafft Christus nicht nur Klarheit darüber, dass ein Christenmensch ein dienstbarer Knecht aller Dinge ist, sondern auch ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ich bin Protestant - und keinem Kirchentags- oder Gemeindevorsteher zum Gehorsam verpflichtet. Vor der Kirche und ihrer Obrigkeit zu verstummen, ist nicht evangelisch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in WELT am SONNTAG. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Axel-Springer-Verlages.

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Peter Gauweiler

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