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Interviews

Zum Nachdenken

Claus Jacobi, Berlin

Stuermer

Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung. Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.










Warum Erziehung manchmal scheitert

Anerzogen ist wie angeklebt. Manchmal aber verwächst das Angeklebte.
Marie von Ebner Eschenbach

Sie sprachen über Erziehung. "Tell me, old boy", fragte Lord Dunby den hochmütigen und eingebildeten Sohn des Diktators Trujillo von der Dominikanischen Republik: "Where have you been uneducated?" ("Sag mal, alter Junge, wo bist du unerzogen worden?")

Erziehen langweilt noch mehr als erzogen zu werden. Aber es hilft ja nichts. Diese Marschverpflegung, die wir unserer Brut auf dem Weg durchs Leben mitgeben, ist nun einmal das Wichtigste, was wir ihnen außer unseren Genen schenken können. "Die Zweige des Maulbeerbaumes werden gebogen, wenn sie jung sind", sagen die Chinesen. "Der eine bedarf der Zügel, der andere der Sporen", war Rezept des Cicero.

Erziehung soll Sehnen und Seelen stärken, soll Muskeln, Hirn und Herz bilden, soll Wissen und Moral vermitteln. "Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung", erkannte der große Kant. "Der Mensch kann auch nur Unmensch werden durch Erziehung", meinte der etwas kleinere Marcuse.

Wir Deutsche haben uns mit der Erziehung oft schwer getan, seit im Mittelalter an den Ritterhöfen der "Magezogen" Knappen und Pagen ausbildete. Preußens Soldatenkönig prügelte seinen Sohn mit dem Stock zu einem der größten Herrscher der Geschichte. Später wurde die Armee von uns zur Schule der Nation ausgerufen. Und schließlich kam in gewissen Kreisen die "antiautoritäre Erziehung" zu Ansehen - bis deren verkorkste Produkte auf den Couchen der Psychiater landeten.

Zur Zeit haben wir einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die derzeitige Malaise hat dreifache Wurzel:

Sie, deren kleine Seelen noch ohne Arg sind, saugen in sich auf, was ihnen vorgelebt wird und streben dem nach. Ohne Vorbilder ist daher jede Erziehung zum Scheitern verurteilt. Und diese Vorbilder werden immer seltener. Immer mehr Eltern können es nicht sein, weil sie sich streiten, nicht da sind oder nicht mehr zusammenleben. Andere echte Vorbilder indes sind nicht in Sicht. Helden sind nicht mehr gefragt.

So haben wir die Erziehung des Kostbarsten, was wir besitzen, unsere Kinder, bereits weitgehend der Straße und dem Staat überlassen, das eine schlimmer als das andere, und beide ohne Liebe. Von allen Sünden unserer politischen Klasse ist das die ärgste. War der Trujillo-Sohn vielleicht im modernen Deutschland aufgewachsen?

P.S. Gott sei Dank gibt es immer noch Eltern, die ihre Kinder liebevoll erziehen, immer noch Lehrer, die sich für ihre Schüler aufopfern. Sie bitte ich um Nachsicht für diese Kolumne. Mögen sie niemals aufgeben. Sie sind unser aller Hoffnung.

Claus Jacobi

Buchtipp:

Joachim Fest

Claus Jacobi
Von Glück, Gespenstern und dem Geheimnis des Lebens
Denkanstösse über den Tag hinaus

208 Seiten, gebunden
Goldmann Taschenbuch

29,80 DM

ISBN : 3-7766-2074-9

Eine Auswahl von 78 Kolumnen, die Claus Jacobi in den letzten Jahren veröffentlicht hat, ist jetzt zum ersten Mal als unter Von Glück, Gespenstern und dem Gehiemnis des Lebens erschienen. Es sind Glanzstücke des deutschen Journalismus. Jacobi liebt Geschichte und Geschichten. "Political correctness" läßt ihn "kalt wie der Kuß einer Tante". Und er ist überzeugt: "Wenn Heuchelei dick machen würde, bräuchten unsere Parlamente Flügeltüren".

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