HINTERGRUND
George W. Bushs erster Kreuzzug
US-Präsident           will Religionsgemeinschaften 
mit jährlich acht Milliarden Dollar staatlich fördern
Von Uwe Schmitt, DIE WELT
Washington - Nach einer durchzechten Nacht im 40. Lebensjahr ließ George W. Bush die letzten Zweifel fahren, dass der Glaube Berge versetzen kann, und wählte Jesus zu seinem einzigen Tröster. Jahre später ermutigte der texanische Gouverneur Bush evangelikale Gruppen, inhaftierte Drogendealer in der Umarmung Jesu abschwören und genesen zu lassen. Nun steht der vor Wochenfrist gekrönte amerikanische Präsident vor schwarzen Gläubigen in der "Fishing School" für Inner-City-Kids zu Washington und predigt die Kernbotschaft seines "mitfühlenden Konservativismus": "Es sind so viele Menschen in Not." - "Amen!", antwortet vielstimmig die Gemeinde. "Aber es gibt auch so viele, die helfen wollen", ruft Bush aus, "das macht diese Nation groß." - "Amen, oh, Amen." Neben ihm steht Joe Lieberman, der Senator von Connecticut, orthodoxer Jude und glückloser "running mate" von Al Gore. Er erkenne in Bush, sagt er, einen verwandten Geist.
Bill Clinton hätte es nicht besser anfangen können als der Seelenfischer           George W. Bush - wenn die Demokraten im Kongress Seelen haben. Bushs Glaube           an eine neue Rolle der Religion in Amerikas Wohlfahrt, an ein Ende der           Diskriminierung von Religionsgemeinschaften im Wettbewerb um Steuermittel,           wie er es nennt, muss Capitol Hill versetzen. Keine Nation in der westlichen           Hemisphäre ist frommer, keine führt erbittertere Glaubenskriege           um Abtreibung und Schulgebet. Und keine reagiert empfindlicher, gewissermaßen           zwischen zwei Gebeten, die Kirche gegen den Staat und den Staat gegen           die Kirche zu verteidigen. George W. Bush weiß das und hütet           sich, den Generalverdacht gegen seine "Faith-based"-Initiative           zu nähren. Eine ganze Woche widmet er in täglichen Auftritten           seiner Idee einer neuen Brüderlichkeit von sekulären und religiösen           Gruppen gegenüber dem Staat. "Der Staat sollte nie die Religion           alimentieren", beschwichtigt sein wichtigster Berater in dem Projekt, Stephen Goldsmith. "Er kann für die Suppe zahlen, für           ein Obdach, aber nicht für die Bibeln."
        
      Neu an dem Vorstoß des Präsidenten, der in dieser Woche eine           Zentralstelle im Weißen Haus für "Faith-Based and Community           Initiatives" und Verbindungsbüros in fünf Ministerien einrichten           ließ, ist Geist und Umfang der Zusammenarbeit mit Kirchen. Bisher           mussten religiöse Vereinigungen "bekenntnisfreie" Unterabteilungen           gründen, um Subventionen zu erhalten; sie hatten sich staatlichen           Inspektionen zu beugen und einen Papierkrieg mit der Bürokratie zu           führen, der viele verzichten ließ. Nach Bushs Überzeugung           sind die großen Sozialprogramme von Lyndon Johnsons "Great           Society" gescheitert, weil Geld ohne Glauben die innere Verelendung           von Alkoholabhängigen, Drogensüchtigen und Strafgefangenen perpetuiere.           Jesus als Gegengift, Gottesfurcht als Remedur für jene, die keine           Staatsgewalt mehr fürchten. Pilotprojekte in Haftanstalten von Texas           und Indiana haben in den vergangenen vier Jahren ermutigende Ergebnisse           gezeigt; die üblichen Rückfallquoten um 90 Prozent verkehrten           sich in Erfolgsquoten. 
  
      Eine Sache des Glaubens sind auch die Beteuerungen des Präsidenten,           er wolle nur Chancengleichheit mit den konfessionslosen Sozialverbänden           herstellen. Nie werde er zulassen, dass Bekehrung für den Hungernden           vor Hilfe komme, die religiöse Moral vor dem Fressen. Seine "Armeen           des Mitgefühls" marschierten ohne Zwangsrekrutierung. Immer           werde es eine staatliche Wahlmöglichkeit neben den geförderten           Gruppen geben: "Die Regierung wird nie von karitativen Gruppen ersetzt           werden." Auch werde man keine Bevorzugung protestantischer Sekten           dulden, sondern sich strikt an Resultaten orientieren. Wer überzeugende           Arbeit leiste, ob unter Obhut einer Moschee, Synagoge oder Kirche, komme           in Frage für Bushs Förderung von vermutlich acht Milliarden           Dollar pro Jahr. Das bedeutet allerdings auch, dass "Scientology"           und "Nation of Islam", von Bush jüngst als "Prediger           des Hasses" gegeißelt, im Weißen Haus ebenso gelitten           wären wie die Baptisten und die Katholiken, das Rote Kreuz und gerade           "Planned Parenthood", für viele Republikaner ein Abgrund           an Gottlosigkeit und Komplizenschaft mit Kindermördern. 
  
      Und hier, spätestens, entzünden sich Unglaube und Skepsis wider           das Lieblingsprojekt des Präsidenten. Der erste Verfassungszusatz,           der Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert, ist Atheisten wie Gläubigen           nicht weniger heilig als Gottes Wort. Der Pastor Barry Lynn, Direktor           von "Americans United for Separation of Church and State", tritt           als einer der Wortführer des Widerstands gegen die Subventionierung           "religiöser Heuchler" auf. Der Staat werde die Diskriminierung           von Minderheiten aller Art, in Gruppen sanktionieren, deren Botschaft           die Intoleranz sei. Amerika sei, Gott sei Dank, keine christliche Republik,           die Verfassung ein weltliches Dokument. Nun treten die Pastoren Barry           Lynn und Pat Robertson in Talkshows gegeneinander an. Sie sind           die Vorhut. Bushs Kreuzzug, der in den kommenden Monaten den Kongress           in Gläubige und Ungläubige spalten wird, hat erst begonnen. 
Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion DIE WELT und des Axel-Springer-Verlages, Berlin

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