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Mit Gottes Hilfe

Von Brigitta Lentz, Köln, e-Mail: lentz.brigitta@capital.de

Manager und Religion. Kraft aus dem Glauben? Das ist doch eher was für Ordensleute und Pastoren. Von wegen. Führungs-kräfte aller Ränge bekennen sich dazu - keine Frömmler, keine Utopisten, sondern Männer, die mitten im Leben stehen.

Peter Barrenstein ist ein typischer McKinsey-Mann: kompetent und eloquent, selbstbewusst und erfolgreich. Im Gespräch jedoch wirkt er anders als manche seiner Kollegen der renommierten Beratungsfirma - nicht so glatt, nicht so unnahbar, nicht so kühl. "Ich habe bisher nur Glück und Erfolg gehabt, im Beruf wie in der Familie", sagt der Protestant, "aber das ist nicht mein Verdienst. Ich danke meinem Schöpfer, dass er mein Leben so gefügt hat." Die Konsequenz? Der 50-Jährige engagiert sich - im Arbeitskreis evangelischer Unternehmer, aber auch in sozialen Initiativen, zum Beispiel für Langzeitarbeitslose.

Bernd Thiemann, Katholik und seit zehn Jahren Vorstandschef der Frankfurter DG-Bank, hat turbulente Wochen hinter sich: Der erfolgsverwöhnte Banker, den die Gazetten in den neunziger Jahren noch als klugen Sanierer der Genossenschaftsbank feierten, war in die Niederungen des drohenden Scheiterns gestürzt. Ein rasanter Ergebniseinbruch, höhere Kreditrisiken, zerschlagene Fusionspläne hatten dem Bild des Siegers deutliche Kratzer versetzt. Die Presse spekulierte bereits über seine Ablösung. Fürs Erste bleibt Thiemann wohl im Amt. Wie aber verkraftet jemand solche Brüche? "Mit Rückgrat und einer gehörigen Portion Gottvertrauen", antwortet der 57-jährige Vorstandschef. "Ich weiß, dass ich mit meinem Handeln letztlich vor Gott bestehen muss." Der Gewinn? "Klarheit und eine gewisse innere Unabhängigkeit."

Carsten Stehr arbeitet gegenwärtig als Bereichsleiter im Vertrieb Deutschland des Siemens-Geschäftsbereichs Informations- und Kommunikationsnetze. Schon heute hat der 31-jährige Betriebswirt und Wirtschaftsingenieur eine der modernen Berufsbiografien hinter sich, von denen der
US-Sozialkritiker Richard Sennett
sagt, dass sie dem Menschen sein innerstes Zentrum nehmen und ihn "driften statt leben" lassen. Zweimal in den letzten drei Jahren wechselte der Siemens-Manager den Job - immer mit Frau und zwei Kindern im Schlepptau: Von München ging's nach Düsseldorf, von Düsseldorf nach Frankfurt. Zum Jahresende steht die nächste Veränderung an. Wie hält eine junge Familie das aus? Seine Frau sei nicht immer glücklich damit. "Aber wir ziehen an einem Strang", sagt der Protestant, "vertrauen uns der Führung Gottes an - und akzeptieren jetzt erst mal die Unruhe in unserem Leben."

Die drei Manager, die auf konkrete Nachfrage hier so offen und ernsthaft über ihr Verhältnis zu Gott sprechen, sind keine frommen Ausnahmen. Peter Barrenstein, Bernd Thiemann und Carsten Stehr zählen zu einer wachsenden Schar von Führungskräften, die ihren Glauben als Kraftquelle und inneren Kompass wiederentdecken. Ein Trend übrigens, der sich mit Zahlen belegen lässt: Die Meinungsforscher des Instituts für Demoskopie Allensbach befragten im Auftrag von Capital deutsche Spitzenleute: 70 Prozent bezeichneten sich als religiös - im Gegensatz zu 47 Prozent der Bevölkerung. Nur vier Prozent bekannten sich als Atheisten.

Die Renaissance der Religion hängt mit der Sehnsucht nach Ruhe und Halt zusammen, die unter Managern dramatisch zunimmt. Der dauernde Zeitdruck zermürbt. Die Forderungen nach noch mehr Flexibilität nehmen kein Ende. Diffuse Versagensängste sind ständige Begleiter. Immer mehr Führungskräfte spüren, dass sie gelebt werden, statt zu leben, dass sie Grenzen setzen und Stehvermögen entwickeln müssen, wenn sie nicht das Steuer ihres Lebens aus der Hand geben wollen. "Wohin gehöre ich wirklich?" - für den Schweizer Unternehmensberater und Managercoach Johannes Czwalina ist das "die zentrale Frage, mit der sich Manager von heute beschäftigen".

Religiöse Menschen tun sich leicht mit der Antwort. Sie binden ihr Dasein an Gott und "finden damit immer wieder zu einer positiven Deutung ihrer Existenz zurück", sagt der Kölner Jesuit Friedhelm Mennekes. "Sie stellen ihre eigene Person nicht in den Mittelpunkt, sondern fühlen sich getragen von einer Macht, die stärker ist als sie selbst." Die kraftspendende Wirkung einer gesunden Religiosität hat vor Jahren schon die amerikanische Glücksforschung bewiesen. "Gläubige Menschen leben glücklicher und gesünder", fand David Larson, Leiter des US Health Research Institutes, heraus. Der Glaube verleihe ein Gefühl von Geborgenheit und Lebenssinn - vorausgesetzt allerdings, dass die Religion weder Zwang ausübt noch Schuldgefühle hervorruft.

Capital hat Führungskräfte nach dem Kern ihres Glaubens und seinen Wirkungen gefragt. "Ich lebe aus der Hoffnung, dass es etwas gibt, das mich stützt - auch in schlechten Zeiten", beschreibt Peter Barrenstein seine Sicht, "ich habe keine Angst." Henkel-Manager Bernhard Mergler fühlt sich als gläubiger Mensch in Gottes Nähe. "Es gibt jemanden, der mein Leben begleitet. Das hilft mir, gelassener zu sein." Klaus Beyer, Bereichsleiter im Kölner Gerling-Konzern, ist davon überzeugt, dass der Sinn seines Lebens nicht nur aus Leistung und Arbeit besteht. "Ich weiß mich getragen von Gott. Deshalb fühle ich mich freier und kann inzwischen gut damit leben, nicht in allem der Vorstellung zu entsprechen, die andere von mir haben."

Der international renommierte Krebsspezialist Volker Diehl, Leiter der Klinik I für Innere Medizin der Kölner Universität mit 260 Mitarbeitern, verdankt seinem Glauben einen klaren Maßstab für sein Handeln. "Der ordnet mich und verhindert, dass ich meine Kräfte mit Nebensächlichkeiten verschleiße." Neid und Missgunst zum Beispiel - zwangsläufige Weggefährten der Erfolgreichen - beschäftigen ihn längst nicht mehr. Wie sein Maßstab heißt? "Ich will verlässlich und glaubwürdig sein und vor allem Menschen in ihrer Würde nicht verletzen." Die Beziehung zu Gott sei eine wechselseitige, sagt der Mediziner. "Gott ist für mich da. Aber ich auch für ihn."

Lebendiger Glaube muss also mehr sein als Stressbewältigung - und ein Leben unter Gottes Führung mehr als bequemer Fatalismus. Wenn der Glaube nur zum eigenen Wohlbefinden verzweckt wird, kann er seine prägende und erneuernde Kraft nicht entfalten. "Wer sich auf Religion einlässt, lässt sich auf einen tiefen Wandlungsprozess ein", betont der Würzburger Benediktiner Williges Jäger. Und Jesuitenpater Mennekes ergänzt: "Als Christ zu leben, bedeutet immer auch inneren Kampf - und vor allem die Entscheidung, in eine bewusste Nachfolge Jesu einzutreten."

Dass Christ sein nicht nur einfach, sondern auch Bürde ist, bestätigt Martin Dolde, der die Logistik im Daimlerchrysler-Werk Untertürkheim leitet. "Christen müssen ihren Glauben unter Beweis stellen und Nein sagen, wenn die eigenen Werte verletzt werden." Das gelinge natürlich nicht immer. Der 59-jährige Diplomingenieur, der als Präsident den diesjährigen evangelischen Kirchentag leiten wird, erinnert sich, dass er einmal die von der Werkleitung verordnete Sonntagsarbeit verweigerte. Zwar habe er seinen ganzen Mut zusammennehmen müssen. "Aber wer das einmal durchgezogen hat, wird ruhiger und tut sich leichter mit Entscheidungen."

Eines ist klar: Wer sein Leben mit Gott verknüpft und sich daran nicht nur am Sonntag erinnert, erschließt sich neue Kraftquellen und innere Freiheit. Gleichzeitig verpflichtet er sich aber, das Wort Jesu und dessen Maßstäbe auch als die seinen anzuerkennen. Was das im Einzelnen bedeutet? Der Interpretationsspielraum ist gering: Die letztlich entscheidenden Werte siedeln sich beim Menschen an und heißen Nächstenliebe, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit - statt Kapitalrendite, Shareholder-Value, Aktienoptionen.

Aber wie lässt sich das vereinbaren? Kann jemand erfolgreicher Manager sein und trotzdem glaubwürdiger Christ? Kann man harte Entscheidungen treffen, die Menschen ihren Job nehmen - und sie trotzdem lieben? "Wir müssen jetzt Arbeitsplätze abbauen und ich kann manchem drastische Folgen nicht ersparen", sagt DG-Bank-Chef Thiemann. Dann komme es darauf an, in welchem Stil das geschehe. "Ich werde mich selbst einbringen und mit den Betriebsräten um Lösungen ringen, die den Schaden für den Einzelnen begrenzen."

Der Zwiespalt, den manche beim Thema Religion und Unternehmensrealität empfinden, ist für Peter Barrenstein ohnehin "ein Produkt der Fantasie". Er entstehe aus der irrigen Überzeugung, dass man sich aufteilen müsse zwischen dem Privat- und dem Berufsmenschen. "Ich bin überall derselbe. Ich versuche, ehrlich zu sein und anständig mit Menschen umzugehen - egal in welchem Umfeld ich mich gerade bewege."

Dass "der Glaube der Berufswelt standhält", ist auch die Lebensbilanz des heute 70-jährigen Siegfried Buchholz. Aber es sei nicht immer leicht, für das einzustehen, "was einem wert und wichtig" sei. Der promovierte Chemiker und gläubige Protestant blickt auf eine 40-jährige erfolgreiche Berufsbiografie zurück - davon zwölf Jahre im Top-Management der BASF. Wer seine Werte verteidige, so Buchholz Erfahrung, gewinne Stehvermögen, das einem in Konflikten zugute komme: "Mit Menschen ohne persönliche Werte können Sie alles machen." Warum? "Weil sie keine Wurzeln haben, keine feste Basis - und keinen Standpunkt in ihrem Leben."
Und wie reagieren die anderen auf einen, mit dem sie nicht alles machen können? Wie oft passiert es, dass Christen als "Frömmler" oder "weltfremde Spinner" abgestempelt werden? Das kommt auf den Chef an. "Wenn einer Christen hasst - und sowas gibt es ja - ist man schnell als Utopist verschrieen", weiß Daimlerchrysler-Manager Dolde. Aber damit lasse sich leben.

Spott oder gar Häme von Kollegen und Mitarbeitern kommen vor - aber eher selten. Meist sind sie eine Reaktion auf mangelnde Glaubwürdigkeit. "Als Christ steht man im Unternehmen unter Beobachtung", bestätigt Gerling-Manager Beyer. "Mitarbeiter haben eine feine Antenne, wenn Worte und Taten nicht zusammenpassen." Fromm reden und nicht danach handeln sei einer der schlimmsten Vorwürfe, die man Christen machen könne, meint Martin Dolde.
Fromme Reden gehören ohnehin nicht in den Joballtag. "Ich will meine Mitarbeiter nicht bekehren", sagt Professor Diehl. Und auch McKinsey-Berater Barrenstein geht mit seiner religiösen Überzeugung nicht auf den Marktplatz. "Missionieren sollen andere." Wie heißt es so schön bei Matthäus, 7, Vers 20: "An ihren Taten werdet Ihr sie erkennen."


Stehvermögen, Energie und Liebe

Religiöse Menschen haben Kraftquellen,
die sie zu außergewöhnlichen Führungskräften machen.

Innere Unabhängigkeit. Sie haben ihr Leben an Gott als höchste Autorität gebunden. Sie machen sich von anderen nicht abhängig und sind nicht manipulierbar.

Selbstwert. Sie betrachten sich als Geschöpfe Gottes. Sie trennen klar zwischen Selbstwert und dem Nutzen, den sie für ihr Unternehmen bieten. Sie brauchen sich nicht laufend vor sich selbst und anderen zu beweisen und können Kritik annehmen, ohne sofort zurückzuschlagen.

Liebe. Sie achten auch den unverwechselbaren Wert der anderen als Geschöpfe Gottes. Liebe als Grundhaltung gibt ihnen Führungsenergie. Wer Menschen nicht liebt, manipuliert sie - und stößt auf Widerstand.

Ruhe. Sie fühlen sich von Gott getragen und haben keine Angst um ihre Existenz. Das gibt ihnen Kraft für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft.

Klarheit. Sie haben christliche Werte wie Nächstenliebe, Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit verinnerlicht. Diese Maßstäbe wirken wie ein inneres Ordnungsprinzip und lenken das eigene Handeln und Verhalten.


*Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion "Capital", Köln
und des "Gruner+Jahr" Verlages in Hamburg.

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