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Interviews

Tendenzen Gespräch

Prof. Dr. Walter Krämer, Universtität-Dortmund

Joachim FestProfessor Dr. Walter Krämer (geb. am 21.11.1948). Von 1969 bis 1976 Studium der Mathematik und Wirtschaftswissenschaften in Mainz; Diplom in Mathematik 1976; Promotion in Wirtschaftswissenschaften 1979; Habilitation für Ökonometrie 1984 (Technische Universität Wien). Gastprofessuren am Institute for Advanced Studies in Wien und am Management Institute der Fudan University in Shanghai. Von 1985 bis 1988 Professor für Empirische Wirtschaftsforschung in Hannover. Seit 1988 Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik in Dortmund. Seit 1996 Fachgutachter für Statistik der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Büro: CDI-Gebäude, Telefon: (0231) 755-3125, Fax: (0231) 755-5284
E-Post: walterk@amadeus.statistik.uni-dortmund.de
Sprechstunden: Mittwoch 13.00 - 14.00 Uhr

"Pseudoenglisches Imponiergefasel verseucht zunehmend unsere Alltagssprache!"

Dortmunder Universitätsprofessor Dr. Walter Krämer, Wunstorf, über Wahrheit, Statistik und Lüge sowie über immer stärkeres Eindringen amerikanisch-englischer Begriffe in unsere deutsche Muttersprache
Joachim Fest

Anton Schosch im Gespräch mit Prof. Dr. Walter Krämer.
Foto: Ebersberger, Nürnberger Zeitung

TENDENZEN: Herr Professor Krämer, Sie haben u.a. auch das Buch geschrieben "So lügt man mit Statistik". Die brennende Frage des Neuen Testaments stellte seinerzeit ein römischer Statthalter namens Pontius Pilatus: "Was ist Wahrheit?" Gibt es Statistiken, denen man glauben kann?

Dr. Krämer: Natürlich. Die meisten Statistiken z. B., die unsere amtlichen Datensammler in Wiesbaden zusammentragen, sind seriös und mit großer Sorgfalt hergestellt. Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn interessierte Parteien selbst die Daten zur Verfügung stellen, etwa bei einer Umfrage des ADAC zum Tempolimit oder einer Statistik der Grünen zur Atomgefahr. Hier gibt es eine fatale Tendenz, die gewünschten Antworten in die Fragen gleich mit einzubauen.

TENDENZEN: Wie gehen Kirchen - Ihrer Beobachtung nach - mit der Wahrheit um?

Dr. Krämer: Das ist schon schwerer zu beantworten, denn in religiösen Dingen geht es um Glauben, nicht um Wissen, hier ist zwischen wahr und falsch grundsätzlich nur sehr schwer zu unterscheiden. Die Existenz Gottes z.B. kann man wissenschaftlich nicht beweisen, aber seine Nichtexistenz genausowenig.
Gefährlich wird es immer dann, wenn Kirchen sich allzu sicher im Besitz der reinen Wahrheit wähnen, das kann leicht zu einer Zwangsbeglückung von Andersdenkenden entarten.

TENDENZEN: Woher kommt es, dass wir Menschen immer noch geradezu naiv zahlengläubig sind, obschon es eine Binsenweisheit ist, man könne mit ein und denselben Zahlen eine Sache sowohl beweisen als auch widerlegen?

Dr. Krämer: Widerspruch! Zahlen und Fakten selber können niemals ein- und dieselbe These zugleich beweisen als auch widerlegen. Das geht nur, wenn Menschen diese Zahlen falsch behandeln. Daß dies sehr leicht möglich ist, habe ich ja in meinen Büchern an vielen Beispielen gezeigt. Und daß die Menschen sich dennoch von Zahlen so leicht beeindrucken lassen, liegt an dem Anschein von Objektivität und Wissenschaftlichkeit, der Zahlen von Wörtern unterscheidet, und an der Scheu, die mathematisch uninteressierte Menschen vor allen mathematisch angehauchten Dingen haben. Vielleicht kann man die bekannten abfälligen Bemerkungen über Wahrheit und Statistik sogar als einen Versuch zur Verdrängung dieser Scheu betrachten.

TENDENZEN: Sie sind auch Vorsitzender eines Vereins zur Förderung der deutschen Sprache. Welche jüngsten Entwicklungen erfreuen Sie und welche geben Ihnen Anlass zur Sorge?

Dr. Krämer: Erfreulich ist die republikweite Abkehr von Menschen, die wirklich etwas zu sagen haben, von dem modernen pseudoenglischen Imponiergefasel, das unsere Alltagssprache immer mehr verseucht - unsere Spitzenjournalisten wie Ulrich Wickert ("Mr. Tagesthemen") oder die Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL achten inzwischen peinlich auf ein gutes Deutsch. Weniger erfreulich ist die massenhafte Flucht "normaler" Zeitgenossen aus ihrer schönen Muttersprache.

TENDENZEN: Stehen uns gar radikale Veränderungen bevor, da offensichtlich moderne Kommunikationsmittel die Lebendigkeit und Vielfalt der Sprache nicht gerade fördern? Beispiel: Bei Milliarden von SMS (Short Message System)-Botschaften über Handy vermittelt, müssen Gedanken in brutal verkürzten Ausdrücken abgefasst werden.

Dr. Krämer: Die moderne Abkürzerei ist ein Versuch von Werbefuzzis und "Cyber-Kretins" (O-Ton DER SPIEGEL), ihren eigenen Fachjargon dem Rest der Menschheit aufzuzwingen. Solchen Fachjargon hat es in allen Berufen immer schon gegeben. Neu ist nur die Bereitschaft vieler Laien, sich dieser Schimpansensprache anzupassen.

TENDENZEN: Sollten wir uns Frankreich als Beispiel nehmen, einem Land, das im EDV-Bereich Begriffe wie Software und Computer partout nicht verwendet und dafür französische Wörter benutzt?

Dr. Krämer: Wir brauchen einen Mittelweg. Wir Deutschen mit unserer von der Times einmal so genannten "linguistic submissivness" (auf gut fränkisch könnte man auch "sprachliche A....kriecherei " dazu sagen) übertreiben nach der einen Seite, die Franzosen mit ihrem genauso peinlichen Chauvinismus nach der anderen.
Fremdwörter, auch aus dem Englischen, sollten wir immer dann benutzen, wenn sie unsere eigenen Sprache ausdrucksstärker machen. Wir sollten sie vermeiden, wenn sie nur zum Angeben oder zum Übertünchen fehlender Ideen (Motto: wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch) dienen. Ich halte es hier mit Goethe: "Die Gewalt einer Sprache erweist sich nicht dadurch, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt."

Buchtipp:

Joachim FestOb in der Werbung, in den Medien oder in der Alltagssprache: Überall ist DENGLISCH auf dem Vormarsch - jenes Kauderwelsch aus englischen Begriffen und deutscher Grammatik.

Bestsellerautor Professor Dr. Walter Krämer, Uni Dortmund, hat die 1000 wichtigsten Begriffe in alphabetischer Sortierung für den deutschen User aufgearbeitet - von Adventure bis Worst Case.

Satirisch zugespitzt, aber mit durchaus ernstem Hintergrund zeigt Krämer, wie die Sprache systematisch verhunzt wird, wie pseudo-weltläufiges Neusprech sich überall durchsetzt.

Wer mitreden will über Handys und Key Accounts, über Floppen und Primetime, wird dieses Buch brauchen, auf der Party wie im Office oder am Beach.

Eine kleine Kostprobe: User - Der, um den sich im modernen (modern) computing alles centert: "Siemens Nixdorf: User Centered Computing"

PROF. DR. WALTER KRÄMER: "Modern Talking - Auf Deutsch",
München, Piper Verlag, 2000,
DM 29,80/ATS 218,00/ CHF 27,50
ISBN 3-492-04211-2

Vom selben Autor bereits 1991 (aktualisiert 2000) in
Campus Verlag Frankfurt/Main erschienen:

DM/CHF 14,90 - ATS 109,00
ISBN 3-492-23038-5

 

 

 

 

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