Kardinalfehler?
  Bundesrepublikanische Öffentlichkeit regt sich über eine Predigt auf. Das  ist schon lange nicht passiert. Es sollte uns zu denken geben.
  
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner sagte von der Kanzel runter: „Dort, wo  die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der  Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet.“ Der allgemeine Aufschrei  gipfelte u. a. darin, dass der Kardinal als „notorischer geistiger  Brandstifter“ bezeichnet wurde, der die Sprache missbrauche und Tabus breche.  Unterlief Joachim Meisner hier ein Kardinalfehler?
  
Der Begriff „entartet“ stammt aus dem Nazi-Wortschatz und ist mit anderen  Wörtern der Göbbels-Demagogie , wie beispielsweise der Begriff „Endlösung“,  unter einer Art Tabu verbannt. Nun nennt der Kardinal eine Kultur, die von  Gottesverehrung abgekoppelt wird, „entartet“.
Alle regen sich über das Wort „entartet“ auf und das zu Recht! Aber keiner  fragt danach, was der Kölner Kardinal unter „Gottesverehrung“ meint? Und das  ist zumindest genauso spannend! 
Was wir sagen, aussprechen, ist nur die Spitze unseres Gedanken-Eisberges.  Die Worte drücken nur einen kleinen Teil der Gedankenwelt ab, in der wir leben  und unsere Wirklichkeit zuordnen. Und wir begegnen hier einer wieder sehr  selbstbewusst gewordenen katholischen Kirche, die mit einer Art  Rollback-Strategie gegen die Moderne zu Felde zieht. Gottesverständnis und  Gottesverehrung sind also nur dann richtig und gültig, wenn sie nach dem  römisch-katholischen Ritus ausgeübt werden.
Meisners Kollegen verglichen schon mal ungeniert die israelische Schutzmauer  gegen Selbstmordattentäter mit der Mauer des Warschauer Ghettos. Meisner selbst  brachte es schon fertig, Parallelen zwischen Holocaust und Abtreibung zu sehen.  Einerseits sieht der Augsburger Bischof Walter Mixa in den selbstbewusster  auftretenden Muslimen Verbündete im Kampf gegen „die verbreitete  Gottesvergessenheit und den aggressiven Atheismus in vielen westlichen Gesellschaften“.  Andererseits bescheinigt eine päpstliche Erklärung den Protestanten keine  Kirche im eigentlichen Sinne zu sein, da es ihr an der apostolischen Sukzession  fehle.
All das zusammengenommen, scheint der Tag nicht allzu fern zu sein, wenn  alle, die nicht den Papstring küssen, alle, die nicht am Sonntag in die Kirche  gehen, obwohl Gott selbst den Sabbat heiligte und alle, die sich gar gegen die  religiös-politische Macht des Vatikans auflehnen, als „entartet“ bezeichnet  werden.
Zum „Vogelfrei-Erklären“, ist dann der Schritt nicht mehr groß.
  Anton Schosch, Herausgeber von TENDENZEN ONLINE
   
  In Memoriam Hannelore Kohl
  Liebe Leserin, lieber Leser,
   kaum ein Tod der letzten Jahre hat die Bundesrepublik Deutschland so erschüttert   			wie die Nachricht am 05. Juli 2001, daß Dr. med. h. c. Hannelore Kohl, damals 68   			Jahre alt, an einer Überdosis Tabletten verstorben ist.
   Sie stellte ihre persönlichen Wünsche und Ambitionen stets zurück. Nur so konnte   			Helmut Kohl nicht nur als Kanzler mit der bislang längsten Amtszeit in die   			Geschichte eingehen. Sie war für sehr viele Menschen im tristen Grau der Politbühne   			eine Lichtgestalt. Und es ist eine Tragik ohnegleichen, daß gerade Licht für sie   			verhängnisvoll wurde.
  
      
Ausgerechnet 1993, als auf ihr Drängen hin zur besseren Hilfe für Verletzte mit   			Schäden des zentralen Nervensystems (ZNS) ein Kuratorium gegründet wurde, erkrankte   			sie an einer unheilbaren Lichtallergie.
      Von der sonst nicht zimperlichen Öffentlichkeit fast unbemerkt, verschlimmerte sich   			ihre Krankheit immer mehr. Die Symptome ließen sich behandeln, und zwar mit Kortison,   			ansonsten blieb ihr nur, das Tageslicht zu meiden.
      Nicht nur die Blumen und die Natur gehen ohne Licht ein, auch wir Menschen.
      Die letzten Wochen, Monate und Jahre verließ sie das Haus nur bei Dunkelheit und   			wurde so zum "Mondscheinkind". In ihrer Seele wurde die Sehnsucht nach Licht so   			groß, daß sie nur noch einen Ausweg sah - obwohl gläubige Protestantin, gab sie   			aus eigenem Entschluß, vertrauend auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit, ihr Leben   			auf, um in ewiges himmlisches Licht eingehen zu können.
      Wir sollten darüber nachdenken, daß wir zum Leben im Licht geschaffen sind und   			mit der Finsternis nichts gemein haben. In unseren Herzen tobt vom ersten Tag   			unseres Lebens an die Entscheidungsschlacht zwischen Licht und Finsternis.
      Vor über 100 Jahren schrieb die US-Amerikanerin Ellen G. White mit geradezu   			prophetischer Visionsgabe ein Standardwerk - "Der große Kampf zwischen Licht und   			Finsternis". Dieses Buch hat unzählige Auflagen erlebt und bis heute nichts an   			fesselnder Kraft eingebüßt. Wie denn auch, wenn darin im Großen wie im Kleinen   			Strukturen der Disharmonie zwischen dem Jammertal hier und unserer Heimat im Himmel   			offengelegt werden!
      Kinder Gottes sind Kinder des Lichts und haben mit der Finsternis nichts gemein.   			Kinder Gottes haben Sehnsucht nach Gottes ewigem Licht; Kinder der Finsternis sind   			tot, ohne es zu merken.
      Schon bei der Schöpfung trennte Gott als allererstes das Licht von der Finsternis.   			Wo Licht ist, muß Finsternis weichen. Das können wir immer wieder beobachten, wenn wir   			in einem dunklen Raum ein Licht anmachen. Es ist gut zu wissen, daß das Licht immer   			der Sieger ist. Und darum heißt es nicht von ungefähr in der Schrift, daß Gott in   			einem ewigen Licht wohnt. Dort sind Frieden, Wärme und Geborgenheit.
      Wir Menschen sind nach dem Bilde Gottes erschaffen. Wir können nur im Licht leben und   			nicht in der Finsternis. Wir verkümmern ohne Licht. Womöglich hat Hannelore Kohl dies   			durch ihr Leiden besser und tiefer begriffen als manch anderer.
      Und vielleicht wollte sie so schnell wie möglich ihren Geist in Gottes Hand   			zurückgeben.
     
     Herzlichst
       Ihr 
       A.Schosch
       
  
   
  
  
  
Zum Nachdenken
  
  Claus Jacobi, Berlin 
  
  
  
  
 
  Claus Jacobi, 71, war bis Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag".  Jeden Samstag veröffentlicht er eine Kolumne in der Bild-Zeitung.  Ausgewählte veröffentlicht TENDENZEN mit freundlicher Genehmigung von  Autor und Verlag.
  
   
  
  
  
  
     "Die Menschen, getroffen von Krisen und Hungersnöten, müssen auch noch eine weit   			größere Tragödie verkraften, diejenige des Schweigens Gottes, der sich scheinbar   			in seinem Himmel eingeschlossen hat, als wäre er angewidert vom Handeln der   			Menschheit." 
      (Papst Johannes Paul II. im Dezember 2002)
    
    Eine Flutwelle hat   			über 150 000 Menschen in Asien getötet. Millionen verloren Heim und Existenz.   			Wo war Gott, als das Verderben über sie hereinbrach? 
        
      Die Frage ist älter als das Christentum: Wieso gibt es so unendlich viel Leid,   			wenn ein gütiger und allmächtiger Schöpfer existiert, wieso läßt er Kinder   			verhungern und mißbrauchen, wieso überziehen Katastrophen, Krieg und Krebs den   			Globus, wieso wuchern Hunger, Elend und Armut, herrschen Folter und Gewalt? 
  
      Schon 300 Jahre vor der Geburt Jesu beschäftigte den griechischen Philosophen   			Epikur das Problem, das der französische Philosoph Pierre Bayle später in vier   			Sätzen formulierte: 
  
  "Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht. Oder er kann es und   			will es nicht. Oder er kann es nicht und will es nicht. Oder er kann und will es." 
  
      Stimmt eine der ersten drei Möglichkeiten, ist Gott entweder nicht allmächtig   			oder nicht gütig oder beides nicht. Im letzten Fall bleibt dunkel, woher die   			Übel denn dann rühren. 
  
      Bei dem Versuch, den Glauben an die Güte eines allmächtigen Gottes mit dem   			Vorhandensein des Bösen auf Erden in Einklang zu bringen, schoben unsere Kirchenväter   			einen Teil der Schuld Adam und Eva zu. Durch ihre Erbsünde hätten sie das Paradies   			verwirkt, und aus ihren Lenden sei das Unheil in die Welt gelangt. Ihr Sohn Kain   			erschlug bereits seinen jüngeren Bruder Abel. 
  
      Für alles Böse wurde im Abendland der Teufel zuständig, so wie in anderen Religionen   			Dämonen und unheilbringende Götter ihr Unwesen trieben. "Gott hat das Leben, der   			Teufel hat den Tod lieb", entschied Martin Luther (1483-1546). 
  
      Doch mit der Aufklärung und der Macht der Menschen wuchsen die Zweifel. Voltaire   			(1694-1778) höhnte: "Wenn die Kirchenväter behaupten, Gott sei ein liebevoller   			Vater und gerechter Herrscher, geraten sie bald in unentwirrbare Widersprüche."   			Nach einem Seebeben, das 1755 Lissabon (wie jetzt Phuket) in Trümmer legte,   			diagnostizierte Kant (1742-1804) kategorisch "das Mißlingen aller philosophischen   			Versuche in der Theodizee" (griechisch: Die Rechtfertigung Gottes). "Gott ist tot",   			erklärte Nietzsche (1844-1900), bevor er in geistiger Umnachtung starb. 
  
      Je verheerender die Unglücke, je gebildeter und eingebildeter die Menschen wurden,   			um so mehr Zweibeiner trauten sich Urteile zu. 
  
      Nach dem Zweiten Weltkrieg fragte Wolfgang Borchert in seinem Stück "Draußen   			vor der Tür": "Wann warst du denn eigentlich lieb, Gott, wann? Warst du in   			Stalingrad lieb, lieber Gott, warst du da lieb …" Die fortschrittliche evangelische   			Theologin Dorothee Sölle meinte: "Wie man nach Auschwitz den Gott loben soll, der   			alles so herrlich regieret, das weiß ich auch nicht." 
  
      Dabei ist der Kern des Dilemmas nicht Gott, sondern die Anmaßung der Menschen,   			ihn mit ihren Maßstäben zu messen. Die Menschen haben Gott in ihre Vorstellungen   			getaucht und mit ihren Eigenschaftsworten bekleidet. Bei uns ist Gott "lieb" oder   			"herrlich", "gütig" oder "allmächtig", im Talmud der "Gnadenreiche", im Koran der   			"Mitleidsvolle" oder der "Erbarmer", im Buddhismus der "Erleuchtete". 
  
      Aber wenn es denn einen Schöpfer des Universums gibt, dann entziehen sich seine   			Dimensionen zwangsläufig den Kategorien des Denkens und der Sprache von winzigen   			Wesen, die auf einem von Milliarden Himmelskörpern hausen. Unsere Phantasie, unser   			Verstand und unsere Vokabeln vermögen Gott nicht einzufangen. 
  
      Gott bleibt immer Sache des Glaubens, nicht der Logik. 
  
    Wo war er, als die Flutwelle kam? Ein Mensch kann diese Frage nicht beantworten.   			"Gott wäre etwas gar Erbärmliches, wenn er sich in einem Menschenkopf begreifen   			ließe", tröstet der weise Christian Morgenstern. 
    Claus Jacob
   
 
 
 
Buchtipp:
 
 
  
  
  
  Claus Jacobi
    Von Glück, Gespenstern und dem Geheimnis des Lebens 
    
    Denkanstösse über den Tag hinaus
    
    208 Seiten, gebunden
    
    Goldmann Taschenbuch 
    
    
    29,80 DM
    
    
    ISBN : 3-7766-2074-9
    
  
  Eine                     Auswahl von 78 Kolumnen, die Claus Jacobi in den letzten Jahren                     veröffentlicht hat, ist jetzt zum ersten Mal als unter Von Glück, Gespenstern und dem Gehiemnis des Lebens erschienen. Es sind                     Glanzstücke des deutschen Journalismus. Jacobi liebt Geschichte                     und Geschichten. "Political correctness" läßt ihn "kalt wie                     der Kuß einer Tante". Und er ist überzeugt: "Wenn Heuchelei                     dick machen würde, bräuchten unsere Parlamente Flügeltüren".